Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)
verteidigt?«
Bob antwortete nicht gleich, und Susan machte sich klar, dass sie sicher nicht die Erste war, die ihn das fragte. Sie stellte ihn sich bei einer Cocktailparty in New York vor (ohne eine Ahnung zu haben, wie es auf so einer Cocktailparty in New York zuging, also blieb das Bild undeutlich, kinohaft), wie er von einer spindeldürren Schönheit in provokantem Ton dieselbe Frage gestellt bekam. Am Telefon antwortete Bob: »Einmal schon, ja.«
»War er schuldig?«
»Ich hab ihn nicht gefragt. Aber sie haben ihn verurteilt, und es tat mir nicht leid.«
»Nicht mal leidgetan hat er dir?« Unerwartete Tränen brannten ihr in den Augen. Sie fühlte sich wie früher, wenn sie ihre Tage bekam. Verrückt.
»Er hatte ein faires Verfahren.« Bobs Ton war geduldig und müde; genauso hatte Steve oft mit ihr geredet.
Haltlos, hilflos sah sich Susan im Laden um. Zach war schuldig. Man gab ihm ein faires Verfahren und schickte ihn für ein Jahr ins Gefängnis. Und bis dahin würde die Sache ein Vermögen gekostet haben. Und niemanden – vielleicht Bob, ein bisschen – kümmerte es.
Bob sagte: »Für den Gerichtssaal brauchst du Eingeweide aus Stahl. Und wir hier beim Berufungsgericht, wir sind eher … na ja, sagen wir, Jim hat Eingeweide aus Stahl.«
»Bobby, ich muss Schluss machen.«
Eine Gruppe somalischer Frauen hatte den Laden betreten. In lange Umhänge gehüllt, die alles außer den Gesichtern verdeckten, erschienen sie Susan einen Moment lang als eine Einheit, ein einziger massiver Ansturm des Fremden, eine Zusammenballung verwischter Rot- und Blautöne, dunkel, dazwischen grüne Kopfbedeckungen, ein Tupfer grellen Pfirsichrots; keine Arme, nicht einmal Hände waren zu sehen. Aber ein Murmeln war zu hören, verschiedene Stimmen, bis sich eine einzelne Gestalt vom Rest absonderte, eine ältere Frau, klein und hinkend, die sich auf den Stuhl in der Ecke setzte, worauf sich Susan die Situation schon etwas klarer darstellte, denn nun hielt ihr die Jüngste von ihnen, hochgewachsen und von einer (für Susan) erstaunlichen, fast schon amerikanisch anmutenden Schönheit , mit leuchtendem Gesicht, dunklen Augen, hohen Wangenknochen, eine am Scharnier abgeknickte Brille hin und bat in schlechtem Englisch darum, sie repariert zu bekommen.
Neben dem großen jungen Mädchen stand eine dunkelhäutigere Frau, hoch und kastenförmig in ihrem Umhang, das Gesicht unbewegt, wachsam, undurchdringlich. Durch die Plastiktüten, die sie trug, sah Susan Putzmittel schimmern.
Susan nahm die Brille. »Haben Sie die hier gekauft?« Sie richtete die Frage an das junge Mädchen, dessen Schönheit sie als aggressiv empfand. Es wandte sich zu der kastenförmigen Frau um; sie wechselten rasch ein paar Worte.
»Wie?«, sagte das Mädchen. Ihr pfirsichrotes Kopftuch leuchtete grell wie Feuer.
»Haben Sie die hier gekauft?«, fragte Susan noch einmal. Sie kannte die Antwort, das Mädchen hielt eine Kaufhausbrille in der Hand.
»Ja, ja«, sagte das Mädchen, Susan solle sie ihr richten.
»In Ordnung«, sagte Susan. Als sie sich an der winzigen Schraube zu schaffen machte, zitterten ihr die Hände. »Einen Augenblick«, sagte sie und trug die Brille ins Hinterzimmer, entgegen der eisernen Regel, den Laden nicht unbeaufsichtigt zu lassen. Als sie zurückkam, hatten die Frauen sich nicht gerührt, nur das Mädchen, zu jung zum Stillstehen, befingerte die Gestelle in dem Ständer neben der Kasse. Susan legte die Brille auf den Tresen und schob sie ein Stück vor. Eine Bewegung der kastenförmigen Frau ließ sie den Kopf wenden, und verblüfft sah sie, als die Frau den Arm zurücknahm, um unter ihren Umhang zu langen, einen Kinderfuß hervorschauen. Die Frau bückte sich, stellte die Beutel mit den Putzmitteln ab, nahm sie wieder hoch, und dabei wurde die Ursache der Ausbuchtung auf ihrer anderen Seite sichtbar; an ihren Leib waren zwei Kinder gegurtet. Stille Kinder. Still wie ihre Mutter.
»Möchten Sie eine davon aufprobieren?«, fragte Susan das große junge Mädchen, das noch immer die Brillengestelle betastete, ohne eines aus dem Ständer zu nehmen. Keine der Frauen sah Susan an. Sie standen im Laden, aber sie schienen weit weg.
»Die Brille ist fertig.« Ihre eigene Stimme kam Susan zu laut vor. »Gratis.«
Die Hand des Mädchens verschwand in den Falten des Umhangs, und einen Moment lang – als hätte all ihre Angst nur auf diese Geste gewartet – dachte Susan, sie würde eine Schusswaffe ziehen. Eine kleine Handtasche kam
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