Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)
machte das Paar in der schneeweißen Küche gemeinsam den Abwasch. Er dachte an all die Menschen überall auf der Welt, für die die Großstadt die Rettung bedeutete. Er war einer von ihnen. Was für eine Düsternis auch hereinsickerte, in irgendwelchen Fenstern um ihn herum brannten immer Lichter, und jedes war wie eine sanfte Hand auf seiner Schulter, die ihn wissen ließ: Egal, was passiert, Bob Burgess, du bist nicht allein.
2
Es war das Lachen. Das gleichgültige Lachen der Polizisten beim Anblick des Schweinekopfs. Abdikarim wurde es einfach nicht los. Er wachte nachts auf und sah wieder die beiden uniformierten Männer, besonders den Kurzgewachsenen mit den kleinen Äuglein und dem dümmlichen Gesicht, hörte sein belustigtes Glucksen, bevor er die Schultern durchdrückte, sich im Raum umsah und mit strenger Stimme fragte: »Wer spricht Englisch? Hier spricht ja hoffentlich jemand Englisch.« Als hätten sie etwas verbrochen. Dieser Gedanke ging Abdikarim immer wieder durch den Kopf: Aber wir haben doch nichts verbrochen! Er murmelte es auch jetzt vor sich hin, am Tisch in seinem Café Ecke Gratham Street. Dass Frauen ihm auf der Straße mitten ins Gesicht blickten, dass Kinder am Arm ihrer Eltern zogen und erst aus sicherem Abstand die kleinen Köpfe nach ihm umwandten, dass die Männer mit den dicken tätowierten Armen vor seinem Café die Bremsen ihrer Trucks kreischen ließen oder dass Mädchen aus der Highschool tuschelten und kicherten, um dann von der anderen Straßenseite ein Schimpfwort zu rufen – all das quälte Abdikarim nicht so wie die Erinnerung an das Lachen. In der Moschee – eigentlich nur ein dunkler Raum eine Straße weiter, stockfleckig und schäbig (aber ihr eigen und heilig) – waren er und die anderen wie Schuljungen abgefertigt worden, die sich über einen Klassenrowdy beschweren.
Heute war Abdikarim nach dem Morgengebet durch das graue Licht der Dämmerung zu seinem Café gegangen. In der Moschee war die Angst noch gegenwärtig; der Geruch des in den letzten Tagen so häufig benutzten Reinigungsschaums erschien ihm wie der Geruch der Angst selbst. Das Beten war ihm nicht leichtgefallen, manche Männer hatten es rasch hinter sich gebracht, um an der Tür Wache zu stehen. Der adano war wieder bei Walmart und ging seiner Arbeit nach, als wäre nichts geschehen – diese Nachricht machte die Runde unter ihnen, und das Einschlafen war mühsamer denn je. Auch mit der Pressekonferenz des Polizeipräsidenten verhielt es sich seltsam. Gestern war ein Reporter ins Café gekommen. »Warum waren gar keine Somali bei der Pressekonferenz?«
Weil ihnen niemand Bescheid gesagt hatte.
Abdikarim wischte den Tresen ab, fegte den Fußboden. Eine gelbe Sonne ging zwischen den Häusern gegenüber auf. Da Fastenmonat war, würde nachher nur Ahmed Hussein zum Essen kommen. Er arbeitete in der nahegelegenen Papierfabrik, und weil er Diabetes hatte, durfte er Tee trinken und ein paar Bissen gekochtes Ziegenfleisch essen. An der Rückwand des Cafés, hinter einem Perlenvorhang, verkaufte er Tücher und Ohrringe, Gewürze, Tees, Nüsse und Feigen und Datteln. Im Lauf des Tages würden Frauen in Gruppen hereinkommen und einkaufen, was ihnen zum abendlichen maghreb noch fehlte, und Abdikarim ging nach hinten, wischte mit dem Staubtuch über die Päckchen mit Basmatireis. Er verteilte die Päckchen ein bisschen, damit das Regal nicht zu leer aussah, dann ging er wieder nach vorne ins Café und setzte sich auf einen Stuhl am Fenster. In seiner Hosentasche vibrierte das Telefon. »Du schon wieder?«, fragte er. Seine Schwester rief aus Somaliland an.
»Ja, ich schon wieder«, sagte sie. »Warum bist du noch da, Abdi? Du bist da drüben in größerer Gefahr als hier! Hier wirft niemand mit Schweineköpfen.«
»Ich kann mir den Laden nicht auf den Rücken packen und losmarschieren«, sagte er liebevoll.
»Der Mann ist raus aus dem Gefängnis. Zachary Olson … Sie haben ihn rausgelassen! Woher willst du wissen, dass er nicht schon zu deinem Café unterwegs ist?«
Ihre Fragen impften ihm Angst ein. Aber er sagte leise: »Neuigkeiten haben schnelle Beine.« Und fügte hinzu: »Gut, ich denk drüber nach.«
Eine Stunde blieb er am Fenster sitzen und sah hinaus auf die Gratham Street. Zwei Bantu-Männer, die Haut schwarz wie der Himmel einer Winternacht, gingen am Schaufenster vorbei, ohne hereinzuschauen. Abdikarim erhob sich und ging durch seinen Laden, strich mit der Hand über Schals, die Packungen mit
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