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Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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ja auch so jung gewesen – Kinder, nicht älter als die Söhne von Pams Freundinnen, die gerade mit dem Studium anfingen – , und Pam hatte Susans ständige Geringschätzigkeit gegenüber Bob persönlich genommen. Es war eine Zeit in ihrem Leben, in der Pam wollte, dass jeder jeden mochte. (Vor allem wollte sie, dass jeder sie mochte.) Es war auch eine Zeit, in der man sich auf dem Orono Campus der Universität von Maine grüßte, wenn man sich auf den Wegen zwischen den Gebäuden begegnete, ganz egal, ob man sich kannte oder nicht. Wobei Bob sehr viele kannten, und das lag an seiner Freundlichkeit und daran, dass etliche sich noch an Jim erinnerten, der nicht nur Präsident der Studentenverwaltung gewesen war, sondern es auch als einer von ganz wenigen nach Harvard geschafft hatte – noch dazu mit einem Vollstipendium – , was seinen Ruhm zusätzlich vergrößerte. Die Burgess-Brüder gehörten so selbstverständlich dazu wie die Eichen und Ahornbäume, unter denen die Studenten mit ihren Büchern entlangspazierten. (Sogar ein paar Ulmen waren noch übrig, aber krank, mit früh welkenden Kronen.) Nie hatte sich Pam besser behütet gefühlt als zusammen mit Bob in seiner schlenkernden Unbekümmertheit, und in ihr hatte sich eine Begeisterung für das Studentenleben – das Leben überhaupt – aufgetan und entfaltet. Dieser Überschwang bekam jedes Mal einen Dämpfer, wenn Susan durch sie beide hindurchsah oder einen Umweg zu einem anderen Eingang machte, wenn sie zur selben Zeit ins Studentenwerk unterwegs waren. Dünn war Susan damals, und hübsch mit ihrem abgewandten Gesicht. In der Fogler-Bibliothek brachte sie es fertig, direkt an Bobby vorbeizugehen, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. »Hey, Suse«, sagte Bob dann. Nichts. Nichts! Pam war entsetzt. Bob schien es nichts auszumachen. »So war sie schon immer.«
    Aber nach ihren ersten Wochenenden und Ferien in Shirley Falls, wo Pams zukünftige Schwiegermutter Barbara sie mit ihrer eigenen Form der Herzlichkeit aufnahm (die sich meist in süffisanten Bemerkungen auf Kosten anderer äußerte, wobei sie mit steinerner Miene Pams Blick suchte), bekam Pam Mitleid mit Susan. Das war überraschend für Pam, eine erste Ahnung, aus wie vielen Facetten der Mensch bestand. Sie hatte nur Susans Fassade gesehen, merkte sie, und dabei das grelle weiße Licht mütterlicher Missbilligung ausgeblendet, das in ihrem Rücken schien. Susan war es, die am häufigsten als Zielscheibe der sogenannten Witze ihrer Mutter herhalten musste, es war Susan, die schweigend den Tisch deckte, während ihre Mutter Bob in den Himmel hob, der es im Gegensatz zu Susan auf die Bestenliste geschafft hatte: »Ach, Bobby, ich hab’s ja gewusst, ich hab immer gewusst, wie klug du bist.« Es war Susan, die ihr langes Haar in der Mitte gescheitelt trug wie »diese albernen Hippie-Blumenkinder«, es war Susan mit ihrer schmalen Taille und den geraden Hüften, der prophezeit wurde, sie würde noch früh genug als Schmalzfass durch die Gegend laufen wie alle anderen Frauen.
    Pam war zu Hause zwar nie verspottet worden, aber dafür schien ihre Mutter ein gespaltenes Verhältnis zu ihren elterlichen Pflichten zu haben und widmete sich ihnen lieber aus sicherer Distanz, als würde ihr von Pam – die ihre halbe Kindheit in der Stadtbibliothek verbracht hatte, lesend oder in Betrachtung der Reklamefotos in den Illustrierten, die ihr vom Leben da draußen erzählten – immer noch zu viel abverlangt. Pams Vater, still und zurückgezogen, schien noch weniger qualifiziert, seiner Tochter über die alltäglichen Klippen des Heranwachsens zu helfen. Um dem dürren Klima daheim zu entkommen, hatte Pam den größten Teil ihrer Freizeit bei den Burgess verbracht, in dem kleinen gelben Haus auf seinem Hügel nicht weit der Stadtmitte. Es war kleiner – wenn auch nicht viel – als das Haus, in dem Pam aufgewachsen war. Aber die Teppiche waren abgetreten, das Geschirr gesprungen, und im Badezimmer fehlten Fliesen. Feststellungen, die Pam bestürzten. Und wieder dieses Gefühl einer Entdeckung: Ihr Freund und seine Familie waren arm. Pams Vater hatte seinen kleinen Schreibwarenladen, ihre Mutter gab Klavierunterricht, sie waren nicht reich; aber in ihrem Haus im Westen von Massachusetts hatte es immer frisch und sauber ausgesehen, und es stand draußen auf dem Land, sicher und offen; für Pam war das alles selbstverständlich gewesen. Als sie das Haus der Burgess sah – die verfärbten, an den Kanten

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