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Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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diese Jahreszeit. Er sagte: »Zach war gerade im Fernsehen.«
    »Ja, schöne Scheiße.« Jim zuckte die Achseln. »Aber dieser Charlie Tibbetts ist einsame Spitze, Bob. Hast du mitgekriegt, was er gemacht hat?« Jim klappte die Speisekarte auf, schaute ein paar Sekunden hinein, klappte sie wieder zu. »Er hat auf den Tisch gehauen, gleich nach O’Hares unsäglicher Pressekonferenz, und eine Nachrichtensperre und Änderung der Kautionsauflagen gefordert. Sein Mandant sei Opfer einer unfairen, aggressiven Anklage, hat er gesagt, und wann hätte man je gehört, dass wegen einem Bagatelldelikt Pressekonferenzen abgehalten werden, aber das Stärkste war – weil es in den Kautionsauflagen doch heißt, Zach darf sich keiner somalischen Person nähern – , das Stärkste war, als Charlie zu dem Richter gesagt hat, wie war das noch, Helen? Genau: ›Der Kautionsbeauftragte scheint von der unglücklichen und naiven Prämisse auszugehen, dass alle Somali sich gleich kleiden, gleich aussehen und sich gleich verhalten.‹ Genial. Wie steht es um die Rückholung unseres Autos?«
    »Jim, willst du nicht deinen Bruder seinen Abend genießen lassen, und wir genießen unseren, und ihr klärt das später?« Helen schaute zu dem Kellner auf. »Den Pinot Noir, bitte.«
    »Wie geht es Zach?«, fragte Bob. »Susan hat mich ein paarmal angerufen, aber wenn ich nach ihm frage, weicht sie immer aus.«
    »Wer weiß schon, wie es Zach geht? Zur Anklageerhebung, die erst am 3. November ist, muss er jedenfalls nicht erscheinen. Charlie plädiert auf nicht schuldig und hat beim Superior Court ein Geschworenengericht beantragt. Der Mann ist echt gut.«
    »Ich weiß. Ich hab mit ihm gesprochen.« Nach einer Pause sagte Bob: »Zach weint allein in seinem Zimmer.«
    »Großer Gott«, sagte Helen.
    »Woher weißt du das?« Jim sah seinen Bruder an.
    »Die alte Dame über ihnen hat’s mir erzählt. Susans Mieterin. Sie sagt, sie hat Zach in seinem Zimmer weinen hören.«
    Etwas veränderte sich in Jims Gesicht, die Augen schienen plötzlich kleiner.
    »Vielleicht täuscht sie sich«, sagte Bob. »Sie wirkt ein bisschen schrullig.«
    »Sicher, es muss nicht stimmen«, sagte Helen. »Jim, was isst du?«
    »Ich hol den Wagen«, sagte Bob. »Ich fliege rauf und fahre ihn zurück. Wann brauchst du ihn?«
    »Sobald du es zeitlich einrichten kannst, also praktisch jederzeit. Das ist das Schöne bei so einer starken Gewerkschaft, wie ihr sie habt. Fünf Wochen Urlaub, und man kann nicht behaupten, dass ihr euch totarbeiten müsst.«
    »Das ist unfair, Jim. Wir haben ein paar richtig gute Leute.« Bob sprach leise.
    »Der Barkeeper winkt dir. Geh dein Bier trinken.« Jims Ton war abfällig.
    Bob ging zurück an die Bar und wusste, der Abend war im Eimer. Er war ein Versager, und sogar Helen war böse auf ihn. Er war rauf nach Maine gefahren, nur um sich dort wie ein Idiot zu benehmen, Panik zu bekommen und ihr Auto stehenzulassen. Er dachte an die freundliche grobknochige Elaine in ihrem Büro mit dem Feigenbaum, die ihm so geduldig erklärt hatte, dass die Reaktionen auf traumatische Ereignisse sich wiederholen, dass Bob gewisse masochistische Tendenzen entwickelt habe, um sich für eine Handlung in der Kindheit zu bestrafen, für die man ihn nicht verantwortlich machen konnte. Im Spiegel sah er, dass der Rotblonde zu ihm herschaute, und als ihre Blicke sich trafen, nickte der Mann ihm zu. In diesem kurzen Gruß meinte Bob das unausgesprochene Bekenntnis eines anderen Schuldigen zu lesen – der Mann mit dem rotblonden Haar hatte seiner Frau das Fahrrad gekauft, und er war es gewesen, der die Idee zu dem gemeinsamen Ausflug gehabt hatte. Bob erwiderte das Nicken und trank sein Bier.
    Pam saß in ihrem Lieblingskosmetiksalon an der Upper East Side, schaute auf den Hinterkopf der über ihre Füße gebeugten Koreanerin und sorgte sich wie jedes Mal, dass die Geräte nicht ordentlich sterilisiert sein könnten – hatte man erst einmal Nagelpilz, wurde man ihn nie wieder los, und Mia, das Mädchen, das Pam normalerweise hatte, war heute nicht da; diese hier, die gerade sanft an Pams Zehen feilte, sprach kein Wort Englisch. Sie hatten sich mit Handzeichen verständigt, und Pam hatte mit zu lauter Stimme gefragt: »Sauber? Ja?«, und auf den Metallkasten gezeigt, bevor sie sich dann doch zurücklehnte und sich den Gedanken hingab, die ihr seit Tagen im Kopf herumgingen: ihr früheres Leben mit den Burgess.
    Zu Anfang hatte sie Susan nicht gemocht. Aber sie waren

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