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Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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partout das Haus in Brand stecken wollten? Niemand bei den Burgess schien sich Gedanken übers Kochen zu machen oder gar etwas davon zu verstehen (auf dem Speiseplan standen mit ungeschmolzenen orangeroten Käsescheiben belegte Hamburger, Dosensuppe, die mit Thunfisch überbacken wurde, oder ungewürztes, nicht einmal gesalzenes Brathuhn), aber Pam entdeckte, dass sie alle gerne Gebackenes aßen, also backte sie in der kleinen Küche Bananenbrot und Zuckerplätzchen, manchmal assistiert von Susan, und alle stürzten sich darauf, und auch das rührte Pam – als hätten diese Kinder sich ihr Leben lang nach Süße verzehrt. Süß war an Barbara gar nichts, aber Pam schätzte an ihr, dass sie von Grund auf anständig war, und bei aller Verschiedenheit schien jedes der drei Kinder etwas davon abbekommen zu haben.
    Jim erzählte von seinem Jurastudium, Bob saß vorgebeugt da und stellte Fragen. Von Beginn an hatte es Jim zum Strafrecht gezogen, und er und Bob diskutierten über Beweisrecht, Ausnahmeregelungen bei mittelbaren Beweisen, verfahrensrechtliche Aspekte der Prozessführung, die Funktion der Strafe in der Gesellschaft. Pam hatte bereits ihr Interesse für die Naturwissenschaften entdeckt und sah die Gesellschaft als einen einzigen großen Organismus aus Millionen und Abermillionen sich zum Leben drängender Zellen. Kriminalität war eine Mutation, die Pam interessierte, und so diskutierte sie manchmal zaghaft mit. Jim war nie herablassend ihr gegenüber, wie er es bei Bob und Susan sein konnte; dass er sie verschonte, überraschte sie immer wieder. Überhaupt überraschte sie das oft an ihm: diese seltsame Kombination aus Arroganz und Ernsthaftigkeit. Jahre später, während des Wally-Packer-Prozesses, las Pam ein Interview, in dem ein ehemaliger Kommilitone Jims in Harvard mit den Worten zitiert wurde, Jim Burgess habe sich »immer abseits gehalten, immer etwas unergründlich gewirkt«, und da erst verstand sie, was sie damals so nicht wahrgenommen hatte – dass Jim sich in Harvard als Außenseiter gefühlt haben musste und dass er deshalb so oft nach Shirley Falls zurückgekommen war, weil ihn etwas herzog, nicht nur seine Mutter, zu der er aufmerksam und liebevoll war, sondern vielleicht auch der vertraute Akzent, die angeschlagenen Teller, die heillos verzogenen Schlafzimmertüren. Von irgendwelchen Freundinnen hatte er während der Harvard-Zeit nie gesprochen. Dafür kündigte er eines Tages an – denn seine Noten waren hervorragend und sein Talent bereits unübersehbar – , sich um eine Stelle bei der Staatsanwaltschaft in Manhattan bewerben zu wollen. Um dort Prozesserfahrung zu sammeln, sagte er, und mit nach Maine zurückzubringen.
    »Autsch«, sagte Pam. Die Koreanerin, die ihr gerade die Wade massierte, schaute schuldbewusst hoch und sagte ein Wort, das Pam nicht verstand. »Sorry«, sagte Pam und wedelte mit der Hand. »Zu fest.« Ein nostalgischer Schauder durchlief sie, und sie musste die Augen schließen vor dem blassen Schleier der Langeweile – etwas anderes konnte es nicht sein – , der sie anwehte. Waren es nur die Jugend und die junge Liebe gewesen, die Shirley Falls zum magischen Ort für sie gemacht hatten? Würde sie diese Sehnsucht, dieses überdrehte Hochgefühl vielleicht nie wieder empfinden? Stumpfte man durch Alter und Erfahrung einfach nur ab?
    Denn den Kitzel des Erwachsenseins hatte Pam zum ersten Mal in Shirley Falls verspürt. Das Studentenleben mochte ihr ein Reich der vielen Menschen, der Gedanken und Fakten eröffnet haben – das sie liebte, da sie Fakten liebte – , doch Shirley Falls hatte die Wunder der fremden Stadt für sie bereitgehalten, und bei ihren Besuchen dort war es Pam, als würde sie auf schwindelerregende, ekstatische Weise in den Status einer erwachsenen Frau katapultiert. Die Nonchalance etwa, mit der sie ganz allein (während Bob mit seiner Mutter die Dachrinne säuberte) in die kleine Bäckerei in der Annett Avenue ging, wo die Luft süß nach Zimt roch und an den Fenstern geraffte Rüschengardinen hingen und die molligen Bedienungen ihr mit der größten Selbstverständlichkeit ihren Kaffee an den Tisch brachten, und draußen auf dem Gehsteig eilten Männer im Anzug ins Gericht oder in ihre Büros, und Frauen in Kleidern gingen ihren unbekannten, aber nicht minder ernsthaften Geschäften nach … Pam war sich vorgekommen wie in einer der Zeitschriftenreklamen damals in der Stadtbibliothek: eine lächelnde, mitten im Leben stehende junge Frau, die

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