Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)
Kaffee trank.
Manchmal, wenn Bob lernte oder mit Jim auf dem alten Schulparkplatz Basketball spielte, stieg Pam auf den Hügel am Rand der kleinen Stadt und sah hinunter auf die Turmspitzen der Kathedrale, den von Ziegelbrennereien gesäumten Fluss, die Brücke, die sich über das schäumende Wasser spannte, und nachdem sie wieder hinabgestiegen war, drehte sie manchmal noch eine Runde durch die Läden an der Gratham Street. Peck’s hatte dichtgemacht, aber in der Stadt gab es noch zwei andere Kaufhäuser, und ein feierliches Gefühl überkam Pam, wenn sie durch sie hindurchschlenderte, die Kleider berührte, die Bügel auf den verchromten Ständern auseinanderschob. An den Make-up-Tresen besprühte sie sich mit Parfüm, und wenn Barbara hinterher zu ihr sagte: »Du riechst so französisch«, antwortete Pam: »Oh, Barbara, ich bin gerade durchs Kaufhaus spaziert!«
»Ja, das hab ich mir gedacht.«
Barbara machte es ihr immer leicht. Pams großer Vorteil gegenüber Susan, das begriff sie, bestand darin, mit Barbara nicht verwandt zu sein; so waren ihr Orte erlaubt, die für Susan tabu waren, das Blue Goose zum Beispiel, wo ein Glas Bier dreißig Cent kostete und die Musicbox so laut spielte, dass die tiefen Bässe von Wally Packers Begleitband die Tische zum Vibrieren brachten, wenn Pam sich an Bobs Seite zu Take this burden from me, the burden of my love im Takt wiegte, eine Hand auf seinem Knie.
Wenn es etwas zu feiern gab, das Ende der Abschlussprüfungen oder einen Geburtstag oder dass Pam und Bob es auf die Bestenliste geschafft hatten, gingen sie – alle zusammen – ins Antonio’s, das Spaghetti-Lokal an der Annett Avenue, wo der Inhaber, ein fettleibiger Mann, den alle Tiny nannten, die riesigen Spaghettiportionen höchstpersönlich servierte. Als er nach einer Magenbypass-Operation starb, war Pam richtig traurig; alle waren sie traurig.
Barbara ließ sie den Sommer über im Haus wohnen. Pam arbeitete als Bedienung, Bob in der Papierfabrik, und Susan half in der Verwaltung des Krankenhauses aus. Pam und Susan teilten sich das Zimmer, das früher das von Bob und Jim gewesen war, Bob bekam Susans Zimmer, und Jim musste auf der Couch schlafen, wenn er nach Hause kam. »Ich hab’s gern, wenn das Haus voll ist«, sagte Barbara, und für das Einzelkind Pam bekamen diese Wochenenden und Feiertage und Sommer in Shirley Falls eine Bedeutung, die sie in ihrem wahren Ausmaß erst viel später verstand und die letztlich vielleicht sogar ihre Ehe mit Bob ruinierte. Weil sie einfach nicht aufhören konnte, Bob als ihren Bruder zu empfinden. Sie hatte sich seine Vergangenheit angeeignet – sein schreckliches Geheimnis, über das nie jemand sprach – und von der Tatsache profitiert, dass Bob der Liebling seiner Mutter war; Barbara liebte sie deshalb, weil Bob sie liebte. Pam fragte sich, ob Barbara Bob bewusst zu ihrem Lieblingssohn erkoren hatte, um ihn nach dem Unfall, der sie zur Witwe gemacht hatte, nicht hassen zu müssen. Jedenfalls waren Bob und seine Vergangenheit und Gegenwart auch Pams Vergangenheit und Gegenwart geworden, und sie liebte alles, was dazugehörte, sogar seine Schwester, die zu Bob nach wie vor feindselig, aber zu Pam recht freundlich war.
Die Burgess , besonders die Brüder , hatten ihre alljährlichen Rituale in Shirley Falls, und Pam begleitete sie zu den Paraden am Moxie Day, an dem eine kunterbunt gemischte Menge sich in leuchtendes Orange kleidete, um die Limonade zu feiern, die Maine zu seinem Nationalgetränk erhoben hatte – Jesus labt unsere Seelen, und Moxie erfrischt unsere Kehlen, warb eine Plakatwand vor der St.-Josephs-Kirche – und die so bitter schmeckte, dass Pam sie nicht ausstehen konnte, keiner von den Burgess mochte sie, außer Barbara, aber sie jubelten den kleinen Umzugswagen zu, wenn sie vorüberrollten, und dem Cabriolet, in dem die frisch gekürte »Miss Moxie« durch die Stadt kutschiert wurde. Diese Mädchen tauchten Jahre später des Öfteren wegen unerfreulicherer Dinge wieder in der Zeitung auf – weil sie von ihrem Mann verprügelt, von einem Drogensüchtigen ausgeraubt oder wegen Ladendiebstahls festgenommen worden waren. Aber wenn bei ihrer Triumphfahrt durch die Straßen von Shirley Falls ihre Schärpen im Fahrtwind flatterten, klatschten die Burgess-Brüder ihnen zu, sogar Jim machte mit, nur Susan zuckte mit den Schultern, weil ihre Mutter ihr vor langer Zeit verboten hatte, sich um den Titel zu bewerben.
Im Juli fand das Franko-Amerikanische
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