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Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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ließ den Blick durch die Küche wandern. »Gehen wir ein bisschen im Park spazieren, bevor du in die Kanzlei musst. Das machen wir so selten.«
    Beim Gehen wurde Helen leichter ums Herz; sie nahm Jims Hand, winkte mit der anderen Nachbarn zu, die ihre Hunde ausführten. Alle winkten zurück, manche riefen ihr einen Gruß zu. Du hast eine freundliche Art, hatte Jim immer schon gesagt, die Leute freuen sich, dich zu sehen. Dabei fielen Helen ihre Freundinnen ein, mit denen sie sich immer mittwochnachmittags auf ein Glas Wein in Victoria Cummings’ Küche getroffen hatte: Oh, Helen, da bist du ja endlich – freudige Begrüßungsrufe, einige hatten sogar in die Hände geklatscht bei ihrem Anblick. »He, Mädels, Helen ist da!« Das Küchenkabinett nannten sie sich, zwei Stunden Tratsch und Gelächter, aber inzwischen war die Ehe der armen Victoria ein solches Desaster, dass schon ewig keine Treffen mehr stattgefunden hatten, und Helen nahm sich vor, sie alle anzurufen, sobald sie wieder zu Hause war, und ihr Haus als zukünftigen Treffpunkt vorzuschlagen. Warum war ihr das nicht schon früher eingefallen? Die Welt war wieder heil, Freundinnen warfen ihr ganz eigenes Sonnenlicht. Und die drollige alte Dame aus dem Gymnastikkurs wollte sie auch fragen. »Sie legen sich auf die Matte«, hatte sie beim ersten Mal zu Helen gesagt, »und beten zu Gott, dass Sie wieder hochkommen.« Hinter dem Hügel erstreckte sich die braune Wiese, dazu das dunklere Braun der Baumstämme, die glasige Fläche des Teichs. Die Hausdächer, die über den Bäumen aufragten, wirkten aus diesem Blickwinkel ganz ungewohnt, erhaben und alt. »Als ob wir in Europa wären«, sagte Helen, »so sieht es hier aus. Fliegen wir doch im Frühling nach Europa. Nur wir zwei.«
    Jim nickte abwesend.
    »Machst du dir Sorgen wegen Samstag?«, fragte Helen, jetzt wieder ganz Ehefrau.
    »Nein. Das haut schon hin.«
    Als sie zurück ins Haus kamen – Helen hatte noch die zu blonde Frau mit der Aktentasche begrüßt – , klingelte das Telefon. Sie hörte Jim mit leiser Stimme sprechen, dann legte er auf und schrie: »Scheiße, Scheiße, Scheiße!« Sie stand im Wohnzimmer und wartete. »Der Idiot ist seinen Job los, und Susan fällt aus allen Wolken. Warum sollen sie ihn denn nicht feuern? Irgendein Journalist wird ihm nachgeschnüffelt haben, und bei Walmart hatten sie die Nase voll. Himmel, ich will da nicht rauffahren.«
    »Du kannst immer noch nein sagen«, sagte Helen.
    »Kann ich nicht. Ich häng da mit drin.«
    »Ach was. Du lebst nicht mehr da oben, Jimmy.«
    Er antwortete nicht.
    Helen ging an ihm vorbei die Treppe hinauf. »Gut, tu, was du für richtig hältst.« Aber wieder regte sich in ihr die Furcht, ihr könnte etwas genommen werden. Sie rief nach unten: »Sag mir, dass du mich liebst.«
    »Ich liebe dich«, sagte Jim.
    »Mit etwas mehr Gefühl bitte.« Sie beugte sich über das Geländer.
    Er saß auf den untersten Stufen, den Kopf in die Hände gestützt. »Ich liebe dich«, sagte er.

10
    Es begann zu dämmern, als die Burgess-Brüder die Schnellstraße hinauffuhren. Der Himmel ließ sich Zeit, behielt ein sanftes Blau, während die Bäume auf beiden Seiten des vor sie hingestreckten Asphalts dunkler wurden. Irgendwann zog die sinkende Sonne einen lavendelblauen und gelben Schleier herauf, die Linie des Horizonts schien aufbrechen zu wollen, um einen Blick auf dahinterliegende Himmel freizugeben. Zarte Wolkenstreifen färbten sich rosa und glühten nach, bis schließlich nahezu vollständige Dunkelheit herrschte. Die Brüder hatten wenig miteinander geredet, seit sie in einem Mietwagen am Flughafen losgefahren waren, Jim am Steuer, und während der langen Minuten des Sonnenuntergangs hatte keiner ein Wort gesprochen. Bob war unsagbar glücklich. Es war ein völlig unerwartetes Gefühl und dadurch umso intensiver. Er sah zum Fenster hinaus auf die dunkle Schwärze der Kiefern, die vereinzelten Granitbrocken. Eine Landschaft, die er vergessen hatte – und an die er sich jetzt wieder erinnerte. Die Welt war ein alter Freund, die Dunkelheit umschloss ihn wie mit Armen. Als sein Bruder etwas sagte, hörte Bob ihn ganz gut. Trotzdem fragte er leichthin: »Was hast du gesagt?«
    »Dass es einfach entsetzlich deprimierend ist, hab ich gesagt.«
    Bob wartete einen Moment, bevor er sagte: »Das Trauerspiel mit Zachary, meinst du?«
    »Ach, ja«, sagte Jim in entnervtem Ton. »Das auch. Aber ich meinte diese … Gegend. Die Trostlosigkeit.«
    Bob sah eine

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