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Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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was er im Park erlebt hatte, verwirrte ihn: so viele Menschen, die ihn anlächelten! Wenn ihn ein anderer direkt anschaute und dabei lächelte, war das eine Vertraulichkeit, die Abdikarim nicht geheuer war. Aber er lebte lange genug in diesem Land, um zu wissen, dass die Amerikaner so waren, wie große Kinder, und heute im Park waren diese großen Kinder sehr nett gewesen. Noch lange nachdem er gegangen war, sah er die Gesichter vor sich, die ihm zulächelten.
    An dem Abend versammelten sich Männer in seinem Café. Der überwiegende Teil wusste nicht recht, wie die Kundgebung einzuschätzen war. Sie erschien ihnen bedeutsam, und sie hatte sie überrascht, denn wie hätten sie ahnen können, dass so viele ganz gewöhnliche Menschen sich an diesem Tag ihretwegen in Gefahr begeben würden? Wie viel es wert war, würde die Zeit zeigen. »Aber erstaunlich war es schon«, warf Abdikarim ein. Ifo Noor zuckte die Achseln, und wiederholte, dass erst die Zeit es zeigen würde. Dann wandte sich das Gespräch der Männer ihrem Heimatland zu (über das sie immer reden wollten) und Gerüchten, nach denen Amerika die Warlords in Somalia unterstützte, damit sie die Islamischen Gerichte niederwarfen. Gerüchten von Gangstern, die Straßensperren errichtet hatten, von Unruhen, die durch brennende Reifen ausgelöst worden waren. Abdikarim sank beim Zuhören das Herz. Dass die Leute im Park heute freundliche Gesichter gemacht hatten, änderte nichts an der inneren Wehklage, mit der er tagaus, tagein leben musste: Er wollte nach Hause. Aber er konnte nicht nach Hause, weil die Menschen dort den Verstand verloren hatten. Ein Kongressabgeordneter in Washington hatte Somalia öffentlich einen »gescheiterten Staat« genannt. Mit Bitterkeit vermerkten das die Männer in Abdikarims Café. Und Abdikarim waren es einfach zu viele Gefühle für das Fassungsvermögen eines Herzens. Die Kränkung in den Worten des Kongressabgeordneten, der Zorn auf die schießenden, plündernden, jede Ordnung verhindernden Menschen zu Hause, das Lächeln der Menschen heute im Park – und gleichzeitig die vielen Lügen, die Vereinigten Staaten waren ein Land, dessen Führer logen. Die Allianz für die Wiederherstellung des Friedens sei eine Farce, sagten die Männer.
    Abdikarim blieb noch und fegte sein Café aus, nachdem die Männer endlich gegangen waren. Sein Mobiltelefon vibrierte, und er fühlte, wie seine Züge sich öffneten beim Klang der lebhaften Stimme seiner Tochter, die aus Nashville anrief. Das ist gut, sehr gut, sagte sie. Sie hatte im Fernsehen die Kundgebung im Roosevelt Park gesehen. Sie erzählte von ihren Söhnen, die Fußball spielten und beinahe schon fehlerloses Englisch sprachen, und sein Herz fühlte sich an wie eine Maschine, die zugleich vorwärts rasen und zum Stillstand kommen wollte. Fehlerloses Englisch bedeutete, dass sie in der Masse der Amerikaner verschwinden konnten, aber es verlieh ihnen auch eine Robustheit. »Und sie machen keine Dummheiten?«, fragte er, und sie sagte, nein, keinerlei Dummheiten. Der älteste Junge ging jetzt auf die Highschool und brachte ausgezeichnete Noten nach Hause. Seine Lehrer staunten über ihn. »Ich schick dir eine Kopie von seinem Zwischenzeugnis«, sagte seine Tochter. »Und morgen kriegst du ein paar Bilder auf dein Handy. Sie sehen prächtig aus, meine Söhne, du wirst stolz sein.« Noch eine ganze Weile blieb Abdikarim sitzen, bis er schließlich im Dunkeln nach Hause ging, und als er sich hinlegte, sah er vor sich wieder die Menschen im Park mit ihren Winterjacken und Fleecewesten, die offenen, freundlichen Gesichter, mit denen sie ihn anschauten. Als er mitten in der Nacht erwachte, war er verwirrt. Etwas zerrte an seiner Seele, ein Gefühl aus ferner Vergangenheit. Als er erneut aufwachte, wurde ihm bewusst, dass er von seinem ältesten Sohn geträumt hatte, Baashi, der ein ernstes Kind gewesen war. Nur ganz wenige Male in der kurzen Spanne von Baashis Lebens hatte Abdikarim ihm mit Schlägen Respekt beibringen müssen. In dem Traum hatte Baashi seinen Vater mit verstörten Augen angesehen.
    Bob und Jim hatten einen zweiten Abend in Susans Haus hinter sich gebracht. Sie hatte tiefgekühlte Lasagne in die Mikrowelle geschoben, Zach aß Würstchen, die er direkt von der Gabel abbiss wie Eis am Stiel, während die Hündin regungslos auf dem haarigen Hundebett lag und schlief. Einmal schüttelte Jim kurz in Bobs Richtung den Kopf; besser, sie sagten Susan vorerst nichts von dem, was sie

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