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Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Das Leben, natürlich: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben, natürlich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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»Das sind Parasiten«, sagte er. »Die wollen uns ausrotten, und das werden wir nicht zulassen – heute hat man das vielleicht noch nicht gesehen, aber das lassen wir nicht zu.«
    Jim ging weiter. Der Bursche hielt Schritt. »Die Juden fliegen raus, und diese Nigger fliegen auch raus, und zwar bald. Das sind alles Parasiten am Leib der Erde.«
    »Verpiss dich, du Blindgänger.« Jim behielt sein Tempo bei.
    Der Bursche war noch ein halbes Kind. Zweiundzwanzig, höchstens, dachte Bob, während der Junge sie erwartungsvoll ansah, als rechnete er auf ihren Beifall. Als hätte er gar nicht gehört, was Jim gerade zu ihm gesagt hatte. »Parasiten?«, sagte Bob. Ein jäher, heftiger Zorn schoss in ihm hoch. Er blieb stehen. »Du weißt doch nicht mal, was ein Parasit ist. Meine Frau hat Parasiten untersucht, und das waren solche wie du. Auf wie viele Schuljahre hast du’s gebracht, acht?«
    »Hör auf«, sagte Jim, ohne anzuhalten. »Komm.«
    »Wir sind Gottes auserwähltes Volk. Und wir geben nicht klein bei. Auch wenn ihr das glaubt.«
    »Eine winzig kleine Kokzidie bist du, ein Parasit in Gottes Dickdarm, das bist du«, sagte Bob. »Geschlechtslos«, rief er noch über die Schulter, während er Jim nacheilte. »Dein Platz ist im Magen der Ziege.«
    »Tickst du noch richtig?«, sagte Jim wütend. »Halt die Klappe.«
    Der junge Mann kam ihnen hinterhergelaufen. Er sagte zu Bob: »Du bist ein dummer Fettsack, aber der da« – eine Kopfbewegung auf Jim – , »der ist gefährlich. Der steht mit dem Teufel im Bund.«
    Jim blieb so abrupt stehen, dass der Bursche auf ihn auflief, und packte ihn am Arm. »Hast du meinen Bruder gerade einen Fettsack genannt, du mieses kleines Arschloch?«
    Angst zuckte über das Gesicht des Jungen. Als er versuchte, den Arm zu befreien, drückte Jim fester zu. Jims Lippen waren weiß, die Augen schmal. Unglaublich, mit welcher Vehemenz seine Wut sich Bahn brach. Selbst Bob, der doch an seinen Bruder gewöhnt war, konnte nur staunen. Jim schob sein Gesicht nah an das des Jungen heran und sprach mit leiser Stimme. »Hast du meinen Bruder einen Fettsack genannt?« Der Junge sah über die Schulter, und Jim drückte noch fester zu. »Von deinen schwanzlosen Freunden ist keiner hier, um dir zu helfen. Also, ich frag dich noch mal, hast du meinen Bruder einen Fettsack genannt?«
    »Ja.«
    »Entschuldige dich.«
    Tränen standen dem jungen Mann in den Augen. »Sie brechen mir den Arm. Echt wahr.«
    »Jimmy«, murmelte Bob.
    »Entschuldige dich, hab ich gesagt. Oder ich knick dir den Hals so schnell ab, dass du’s nicht mal spürst. Schmerzlos. Du glücklicher kleiner Pisser. Ohne Schmerzen ins Jenseits befördert.«
    »Es tut mir leid.«
    Sofort ließ Jim ihn los, und die Burgess-Brüder gingen zu ihrem Auto, stiegen ein und fuhren davon. Durchs Rückfenster sah Bob, wie der Junge sich den Arm rieb und zurück in den Park trottete. »Keine Angst«, sagte Jim, »es sind nicht viele. Den hätten wir los. Aber hör auf, die Leute Parasiten zu nennen, Himmelarsch!«
    Im Park brandete Applaus auf. Was der Gouverneur auf dem Podium auch zu sagen haben mochte, die Leute hörten es gern, der Tag war so gut wie gelaufen, Jims Beitrag war geleistet. »Hübsche Rede«, sagte Bob, als sie den Fluss überquerten.
    Jim sah immer wieder in den Rückspiegel, während er in die Hosentasche langte und sein Mobiltelefon aufklappte. »Hellie? Es ist vollbracht. Ja, es war okay. Wir reden in Ruhe, wenn ich im Hotel bin. Du auch, Schatz.« Er klappte das Handy zu, steckte es wieder in die Hosentasche. Zu Bob sagte er: »Hast du die Mütze von dem kleinen Wichser gesehen, mit der 88 drauf? Das steht für ›Heil Hitler‹. Oder HH . Das H ist der achte Buchstabe im Alphabet.«
    »Was du alles weißt«, sagte Bob.
    »Was du alles nicht weißt«, antwortete Jim.
    Am Abend stand fest, dass der Tag, an dem viertausend Menschen im Stadtpark für das Recht einer dunkelhäutigen Bevölkerungsgruppe demonstriert hatten, in ihrer Stadt ansässig zu werden, in die Geschichtsbücher von Shirley Falls eingehen würde. Die Plastikschilde wurden wieder weggeschlossen. Der sachte Ernst der Solidarität lag noch in der Luft, kaum Selbstgefälligkeit allerdings, denn das war nicht die Art der Menschen im Norden Neuenglands. Aber es war etwas Großes, Gutes, und niemand konnte es ihnen nehmen. Abdikarim war nur dabei gewesen, weil einer von Haweeyas Söhnen ihn abgeholt hatte – seine Eltern bestünden darauf, dass er mitkam – , und

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