Das Leben und das Schreiben
meiner plötzlichen Erkenntnis; meine Reaktion würde ich eher als panische Entschlossenheit bezeichnen. Dann musst du vorsichtig sein, dachte ich damals. Denn wenn du es versaust …
Wenn ich es versaute, mich zum Beispiel eines Nachts auf einer abgelegenen Straße mit dem Auto überschlug oder ein Live-Interview im Fernsehen verbockte, würde mir jemand sagen, ich müsste mein Trinken in den Griff bekommen. Und das zu einem Alkoholiker zu sagen, war genau dasselbe, wie einem Menschen, der am schlimmsten Durchfall der Welt leidet, zu sagen, er solle seinen Schließmuskel in den Griff bekommen. Ein Freund von mir, der das alles selbst mitgemacht hat, hat mir eine Anekdote von seinem ersten zögerlichen Versuch erzählt, sein ihm zunehmend entgleitendes Leben in Ordnung zu bringen. Er ging zu einem Therapeuten und sagte ihm, seine Frau mache sich Sorgen, dass er zu viel trinke.
»Wie viel trinken Sie denn?«, fragte der Therapeut.
Ungläubig schaute mein Freund ihn an. »Alles«, antwortete er, als liege das auf der Hand.
Ich wusste, wie er sich fühlte. Es ist jetzt fast zwölf Jahre her, dass ich zum letzten Mal etwas trank, doch noch heute gerate ich in ungläubiges Staunen, wenn ich in einem Restaurant jemanden mit einem halb vollen Weinglas sehe. Dann möchte ich aufstehen, hinübergehen und ihm oder ihr ins Gesicht schreien: »Trink aus! Warum trinkst du das nicht aus?« Die Vorstellung, aus Geselligkeit zu trinken, fand ich lächerlich – wenn man sich nicht besaufen will, warum nicht einfach eine Cola trinken?
Meine Nächte endeten während der letzten fünf Jahre meines Trinkens immer mit demselben Ritual: Ich schüttete alles Bier, das noch im Kühlschrank war, in den Ausguss. Wenn ich es nicht tat, riefen sie mich, wenn ich im Bett lag, bis ich aufstand und noch eins trank. Und noch eins. Und noch eines mehr.
36
1985 war ich nicht nur alkoholabhängig, sondern auch noch drogensüchtig. Doch ich funktionierte, wie so viele Drogenkranke, weiterhin am Rande der Zurechnungsfähigkeit. Ich hatte Angst, nicht mehr zu funktionieren, denn damals konnte ich mir kein anderes Leben vorstellen. Ich versteckte meine Drogen so sorgfältig wie möglich, und zwar sowohl aus Angst als auch aus Scham (was sollte ich ohne Stoff tun? Ich hatte den Trick vergessen, wie man nüchtern ist). Ich wischte mir den Hintern wieder mit giftigem Efeu ab, jetzt allerdings täglich, konnte jedoch nicht um Hilfe bitten. Das machte man nicht in meiner Familie. In meiner Familie rauchte man Zigaretten bis zum Tod, tanzte in Wackelpudding, und die persönlichen Angelegenheiten gingen niemanden etwas an.
Doch der Teil von mir, der Geschichten schreibt, der Teil tief im Inneren, der bereits 1975, als ich Shining schrieb, wusste, dass ich Alkoholiker war, dieser Teil wollte das nicht einsehen. Dabei ging es diesem Teil gar nicht ums Schweigen. Er rief auf die einzige Weise um Hilfe, die er kannte: durch meine Geschichten und meine Monster. Von Ende 1985 bis Anfang 1986 schrieb ich Sie (der Originaltitel Misery [Elend] gibt meinen Geisteszustand treffend wieder). In diesem Roman wird ein Schriftsteller von einer verrückten Krankenschwester gefangen gehalten und gefoltert. Im Frühjahr und Sommer 1986 verfasste ich Das Monstrum (Originaltitel: Tommyknockers ) , arbeitete oft bis Mitternacht mit einem Herzschlag von 130 pro Minute und Tamponaden in den Nasenlöchern, um das vom Kokain hervorgerufene Bluten zu stillen.
Das Monstrum ist eine Science-Fiction-Erzählung im Stil der Vierzigerjahre, in der die Heldin, eine Schriftstellerin, ein im Boden verstecktes Raumschiff entdeckt. Die Besatzung ist an Bord. Sie ist nicht tot, sondern hält Winterschlaf. Diese fremdartigen Wesen setzen sich in die Köpfe der Menschen und treiben darin ihr Unwesen. Die Opfer besitzen plötzlich eine hohe, aber unreflektierte Intelligenz (die Schriftstellerin Bobbi Anderson erfindet unter anderem eine telepathische Schreibmaschine und einen atomaren Wasserkocher). Im Austausch dafür gibt der Mensch seine Seele auf. Das war die beste Metapher für Drogen und Alkohol, die mein müdes, überspanntes Hirn ersinnen konnte.
Nicht lange darauf trat meine Frau in Aktion, die nun endgültig überzeugt war, dass ich mich nicht von selbst aus dieser Abwärtsspirale befreien würde. Es kann ihr nicht leichtgefallen sein, denn damals war mein Verstand schon längst außer Reichweite, aber sie tat es. Sie trommelte eine Eingreiftruppe aus Verwandten und Freunden
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