Das Leben und das Schreiben
zusammen, und ich kam mir vor wie in der Show This Is Your Life, nur eben in der Version »Das ist Ihr Leben in der Hölle«. Tabby fing an, indem sie einen Müllbeutel aus meinem Arbeitszimmer auf dem Teppich entleerte: Bierdosen, Zigarettenstummel, Koks in kleinen Fläschchen, Koks in Plastiksäckchen, mit Rotz und Blut verkrustete Kokslöffel, Valium, Xanax, Flaschen mit Robitussin-Hustensirup und NyQuil-Erkältungsmittel, selbst Mundwasser. Ungefähr ein Jahr zuvor, als riesige Flaschen Listerine mit unglaublicher Schnelligkeit aus dem Badezimmer verschwanden, hatte mich Tabby gefragt, ob ich das Zeug trinke. Ich antwortete empört und arrogant, das hätte ich ganz bestimmt nicht getan. Hatte ich auch nicht. Ich hatte stattdessen das Scope-Mundwasser getrunken. Das schmeckte besser, leicht nach Minze.
Dieses Eingreifen, das für meine Frau, die Kinder und Freunde mit Sicherheit genauso unangenehm war wie für mich selbst, war nötig geworden, weil ich vor den Augen der anderen zugrunde ging. Tabby stellte mich vor die Wahl: Ich könne mir entweder helfen lassen und eine Entziehungskur machen oder ich solle verdammt noch mal ausziehen. Sie sagte, sie und die Kinder liebten mich, und aus eben diesem Grunde wollten sie nicht dabei zusehen, wie ich Selbstmord auf Raten verübte.
Ich feilschte, denn das tun Süchtige in so einem Fall. Ich war ganz reizend, denn das sind Süchtige immer. Am Ende hatte ich zwei Wochen zum Nachdenken ausgehandelt. Im Nachhinein bringt das den Wahnsinn von damals auf den Punkt: Mann steht auf brennendem Gebäude. Hubschrauber kommt, bleibt über ihm stehen, lässt eine Strickleiter herunter. Komm herauf! , ruft der Mann in der Tür des Hubschraubers. Typ auf dem brennenden Gebäude antwortet: Gib mir zwei Wochen, um darüber nachzudenken .
Ich dachte darüber nach, so gut ich das in meinem verwirrten Zustand noch konnte, aber letztlich traf Annie Wilkes die Entscheidung für mich, die verrückte Krankenschwester aus Sie . Annie war der Stoff, Annie war der Suff, und ich sagte mir, ich wollte nicht länger ihr ans Haus gefesselter Schriftsteller sein. Ich hatte Angst, dass ich nicht mehr würde arbeiten können, wenn ich mit dem Trinken und den Drogen aufhörte, doch ich fasste den Entschluss (wie gesagt, soweit ich in meinem verstörten, geschwächten Geisteszustand dazu fähig war), dass ich das Schreiben gegen den Fortbestand meiner Ehe und das Leben mit den Kindern eintauschen würde. Sollte es denn so weit kommen.
Kam es natürlich nicht. Die Vorstellung, dass Schaffensprozess und bewusstseinsverändernde Substanzen miteinander verquickt sind, ist einer der großen intellektuellen Popmythen unserer Zeit. Die vier Autoren des Zwanzigsten Jahrhunderts, deren Werke dafür hauptsächlich verantwortlich sind, heißen wohl Hemingway, Fitzgerald, Sherwood Anderson und der Dichter Dylan Thomas. Diese vier haben uns in erster Linie die Vorstellung eines englischsprachigen, emotionalen Ödlandes vermittelt, in dem die Menschen isoliert voneinander in einer Atmosphäre emotionaler Erstickung und Verzweiflung lebten. Dieses Erklärungsmodell ist den meisten Alkoholikern bestens vertraut und wird gewöhnlich belächelt. Schriftsteller, die Betäubungsmittel missbrauchen, unterscheiden sich nicht von anderen Drogenabhängigen – von stinknormalen Alkis und Junkies. Behauptungen, dass Drogen und/oder Alkohol notwendig seien, um ihre höhere Empfindsamkeit zu betäuben, sind nichts als Quatsch zur eigenen Absicherung. Diese Behauptung habe ich auch schon von alkoholkranken Schneepflugfahrern gehört: Sie tränken, um den Geistern zu entfliehen. Es ist scheißegal, ob man James Jones, John Cheever oder ein Penner ist, der auf dem Bahnhof übernachtet: Ein Süchtiger will sich unter allen Umständen das Recht auf seinen Drink oder seine Droge der Wahl bewahren. Hemingway und Fitzgerald waren keine Trinker, weil sie kreativ, entfremdet oder charakterschwach waren. Sie soffen, weil Säufer halt so gepolt sind. Möglicherweise haben Kreative ein höheres Risiko, alkohol- oder drogenabhängig zu werden als andere, ja und? Wir sehen alle ziemlich gleich aus, wenn wir in die Gosse kotzen.
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Am Ende meiner Abenteuer trank ich eine 24er-Packung der großen 16-Ounce-Dosen Bier am Abend, und ich kann mich kaum daran erinnern, den Roman Cujo (Originaltitel: Cujo ) geschrieben zu haben. Das sage ich nicht mit Stolz oder Scham, sondern mit einem verschwommenen Gefühl von Trauer und Verlust. Ich mag das
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