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Das Leben und das Schreiben

Das Leben und das Schreiben

Titel: Das Leben und das Schreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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gehen natürlich zur dritten Ebene über und fangen an, einen richtigen Roman zu schreiben. Warum auch nicht? Warum sollten Sie sich davor fürchten? Zimmermänner bauen schließlich keine Monster, sondern Häuser, Läden, Bänke. Sie setzen ein Brett neben das nächste, oder einen Stein auf den anderen. Und Sie schreiben einen Absatz nach dem anderen, bauen diese aus dem Wortschatz und Ihrem Wissen über Grammatik und den Grundlagen der Stilistik. Solange Sie bodenständig bleiben und jede Tür plan hobeln, können Sie bauen, was Ihnen gefällt – ganze Villen, wenn Sie die Tatkraft dafür besitzen.
    Gibt es vernünftige Begründungen für den Bau von ganzen Wortvillen? Ich denke schon, und die Leser von Margaret Mitchell’s Vom Winde verweht (Originaltitel: Gone With the Wind ) und Charles Dickens’ Bleakhaus (Originaltitel: Bleak House ) werden mich verstehen: Manchmal ist selbst ein Monster gar kein Monster. Manchmal ist es so schön und wir verlieben uns in die ganze Geschichte, und das ist mehr, als ein Film oder eine Fernsehsendung je bieten könnte. Selbst nach tausend Seiten wollen wir die Welt nicht verlassen, die der Autor für uns geschaffen hat, oder die erfundenen Menschen, die sie bevölkern. Nicht einmal nach zweitausend Seiten, wenn es denn so viele gäbe. Die Trilogie Herr der Ringe (Originaltitel: The Lord of the Rings ) von J. R. R. Tolkien ist ein wunderbares Beispiel dafür. Tausend Seiten Hobbits waren drei Generationen von Fantasy-Fans nach dem Zweiten Weltkrieg nicht genug; selbst wenn man den schwerfällig dahertrapsenden Zeppelin von einem Epilog, Das Silmarillion (Originaltitel: The Silmarillion ), dazuzählt, hat es nicht gereicht. Das ist der Grund, warum es Bücher von Terry Brooks, Piers Anthony, Robert Jordan gibt, die sich auf ihrer Queste befindenden Hasen aus Unten am Fluss (Originaltitel: Watership Down ) und ein halbes Hundert weiterer Bücher. Die Autoren dieser Bücher erschaffen die Hobbits, die sie immer noch lieben und nach denen sie sich sehnen; sie versuchen, Frodo und Sam von den Grauen Anfurten zurückzuholen, weil Tolkien nicht mehr hier ist, um das für sie zu tun.
    Im Grunde genommen sprechen wir hier nur über eine erlernte Fähigkeit … aber sind wir nicht einer Meinung darin, dass die einfachsten Fähigkeiten manchmal Dinge hervorbringen können, die all unsere Erwartungen übersteigen? Wir reden zwar über Werkzeug und Zimmermannsarbeit, über Stil und Wörter … aber im Folgenden sind Sie gut beraten, wenn Sie im Hinterkopf behalten, dass wir auch über Magie sprechen.

ÜBER DAS SCHREIBEN
     
    Es gibt keine bösartigen Hunde, glaubt man dem Titel eines beliebten Handbuches, aber erzählen Sie das mal den Eltern eines Kindes, das von einem Pitbull oder einem Rottweiler angegriffen wurde. Die steigen Ihnen aufs Dach. Auch wenn ich denjenigen, der sich zum ersten Mal ernsthaft an einen Text macht, gern ermuntern würde, kann ich doch nicht lügen und behaupten, es gebe keine schlechten Autoren. Tut mir leid, aber es gibt Unmengen von schlechten Schreibern. Manche arbeiten in der Redaktion Ihrer örtlichen Zeitung, für gewöhnlich besprechen sie kleine Theateraufführungen oder lassen sich hochtrabend über die heimischen Sportmannschaften aus. Manche haben sich ein Haus in der Karibik erschrieben, ziehen eine Spur von pulsierenden Adverbien, hölzernen Charakteren und scheußlichen Passivkonstruktionen hinter sich her. Andere wieder stellen sich auf öffentlichen Poetry Slams zur Schau, tragen schwarze Rollkragenpullover und knittrige Khakihosen und deklamieren holprige Knittelverse über »meine zornigen lesbischen Brüste« und »die schräge Gasse, in der ich den Namen meiner Mutter schrie«.
    Die Verteilung von Talent und Kreativität lässt sich, wie in anderen Bereichen auch, bei Schriftstellern mittels einer Pyramide darstellen. Die Basis wird von den schlechten Schreibern gebildet. Darüber befindet sich eine nur geringfügig kleinere, aber einladende Gruppe: Das sind die passablen Schriftsteller. Auch ihre Namen kann man unter dem Personal der örtlichen Zeitungsredaktion finden, in den Regalen der städtischen Buchhandlung oder bei Veranstaltungen wie dem Offenen Mikro. Das sind Menschen, die wissen, dass eine Lesbe zwar zornig sein kann, ihre Brüste aber Brüste bleiben.
    Die nächste Stufe ist deutlich schmaler. Hier finden sich die wirklich guten Autoren. Und über ihnen – über fast allen von uns – schweben Menschen wie Shakespeare,

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