Das Leben und das Schreiben
gibt, dies zu verhindern, nur eine Möglichkeit für ihn, die Welt zu retten: Er muss Stillson eine Kugel in den Kopf jagen. Nur in einer Hinsicht unterscheidet sich Johnny von anderen gewalttätigen, paranoiden Mystikern: Er kann wirklich in die Zukunft sehen. Aber behaupten das nicht alle?
Was mich ansprach, war diese sperrige Ausgangssituation, die ein Verbrechen voraussetzt. Ich überlegte mir, es könnte funktionieren, wenn ich Johnny zu einem ehrlichen, anständigen Jungen machte, nicht zu einem Säulenheiligen. Das Gleiche galt für Stillson, nur andersherum: Er musste von Natur aus böse sein und dem Leser Angst einjagen, und zwar nicht nur, weil die Gewalt ständig unter seiner glatten Oberfläche simmert, sondern weil er so ein verdammt einnehmendes Wesen hat. Ich wollte, dass der Leser in einem fort denkt: »Dieser Typ ist doch vollkommen von der Rolle – wieso merkt das denn keiner?« Die Tatsache, dass Johnny Stillson durchschaut, würde den Leser stärker auf Johnnys Seite ziehen, dachte ich.
Als wir den zukünftigen Attentäter kennenlernen, geht er gerade mit seiner Freundin zur Kirmes, fährt Karussell und spielt an den Buden. Was gibt es Normaleres oder Sympathischeres? Dass er kurz davor ist, Sarah einen Heiratsantrag zu machen, macht ihn nur noch sympathischer. Als Sarah ihm später vorschlägt, sie sollten zur Krönung des schönen Tages zum ersten Mal miteinander schlafen, antwortet Johnny, er wolle damit bis zur Hochzeit warten. Ich hatte das Gefühl, damit auf einem schmalen Grat zu wandern – ich wollte, dass die Leser in Johnny einen aufrichtigen und ernsthaft verliebten Jungen sehen, einen ehrlichen Kerl, keinen verklemmten Prüden. Ich konnte seine hehren Grundsätze ein wenig mildern, indem ich ihn mit einem kindlich-schlichten Humor ausstattete; er begrüßt Sarah mit einer im Dunkeln leuchtenden Halloweenmaske (die Maske funktioniert hoffentlich auch in symbolischer Hinsicht; Johnny erscheint als Monster, als er das Gewehr auf den Kandidaten Stillson richtet). »Sehr witzig«, sagt Sarah und lacht, und als die beiden in Johnnys altem VW Käfer von der Kirmes nach Hause fahren, ist Johnny Smith unser Freund geworden. Er ist ein durchschnittlicher Amerikaner, der auf ein glückliches Leben hofft, so ein Typ, der einem die Brieftasche mit dem ganzen Geld zurückgäbe, wenn er sie auf der Straße fände, oder der anhält und beim Reifenwechsel hilft, wenn er Sie mit einem Platten am Straßenrand stehen sieht. Seit John F. Kennedy in Dallas erschossen wurde, ist der große Buhmann für Amerika ein Mann mit einem Gewehr, der an erhöhter Stelle lauert. Diesen Mann wollte ich zum Freund des Lesers machen.
Johnny war schwer. Einen Durchschnittsmenschen lebendig und interessant zu machen, ist immer schwer. Greg Stillson ging mir viel leichter von der Hand (wie die meisten Schurken), und es hat auch viel mehr Spaß gemacht. Ich wollte seine gespaltene, gefährliche Persönlichkeit schon in der ersten Szene des Buches herausstellen. Viele Jahre, bevor er in New Hampshire für das Repräsentantenhaus kandidiert, ist Stillson als junger Handlungsreisender unterwegs und verkauft den Bauern im Mittleren Westen Bibeln. Als er auf eine Farm kommt, wird er von einem knurrenden Hund bedroht. Stillson bleibt freundlich und lächelt – immer der leutselige Kerl -, bis er sicher ist, dass niemand zu Hause ist. Dann sprüht er dem Hund Tränengas in die Augen und tritt ihn tot.
Wenn man den Erfolg des Buches an der Leserreaktion messen würde, so ist die einleitende Szene von Dead Zone – Das Attentat (meinem ersten Nummer-eins-Bestseller im Hardcover) eine der erfolgreichsten, die ich je geschrieben habe. Sie traf ganz sicher einen freiliegenden Nerv; ich wurde mit Briefen nur so überhäuft; die meisten beschwerten sich über meine abscheuliche Grausamkeit gegenüber Tieren. Ich schrieb den Leuten zurück und erklärte immer wieder das Übliche: a) Greg Stillson gibt es nicht wirklich, b) den Hund gab es nicht wirklich, c) ich selbst habe noch nie im Leben eins meiner Haustiere getreten (oder die von anderen). Außerdem wies ich auf etwas hin, das möglicherweise etwas weniger offensichtlich war: Es musste unbedingt von Anfang an feststehen, dass Gregory Ammas Stillson ein extrem gefährlicher, aber sehr gut getarnter Mann ist.
In abwechselnden Szenen entwickelte ich die Persönlichkeiten von Johnny und Greg, bis zur Konfrontation am Ende des Buches, wo sich alles in einer für den Leser
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