Das Leben und das Schreiben
hoffentlich unerwarteten Weise aufklärt. Die Charaktere von Protagonist und Antagonist waren von der Geschichte vorgegeben, die ich erzählen wollte, anders ausgedrückt: vom Fossil, vom Fundstück. Meine Aufgabe (und die Ihre, wenn auch Sie diese Methode des Erzählens für umsetzbar halten) war es nun, dafür zu sorgen, dass die Taten der fiktiven Menschen sowohl die Story vorantreiben und uns ihr Verhalten schlüssig erscheint, gemessen an dem, was wir über sie wissen (und was wir natürlich über das wahre Leben wissen). Manchmal haben die Schurken Selbstzweifel (wie Greg Stillson), manchmal haben sie Mitleid (wie Annie Wilkes). Und manchmal versucht der Gute, sich seiner Aufgabe zu entziehen, wie Johnny Smith … und wie es auch Jesus Christus selbst tat, wenn man an sein Gebet (»nimm diesen Kelch von mir«) im Garten Gethsemane denkt. Wenn Sie als Autor Ihren Job tun, werden Ihre Figuren zum Leben erwachen und schließlich selbstständig handeln. Ich weiß, das hört sich etwas unheimlich an, wenn man es selbst noch nicht erlebt hat, aber es macht riesig Spaß, wenn es geschieht. Und es löst eine Menge Probleme, glauben Sie mir.
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Wir haben bereits einige grundlegende Aspekte guten Erzählens angesprochen, die alle auf dieselben Grundideen zurückführen: Üben ist unerlässlich (und sollte Spaß machen, sollte nicht mit Zwang verbunden sein), und das Erzählte muss glaubwürdig sein. Der gekonnte Umgang mit Beschreibung, Dialog und Figurenaufbau erwächst aus klarem Beobachten oder Zuhören und ebenso klarer Wiedergabe des Beobachteten oder Gehörten (ohne die Verwendung unnötiger, nervtötender Adverbien).
Außerdem gibt es noch allerlei Troddeln und Quasten: Lautmalerei, Wiederholungsfiguren, Bewusstseinsstrom (d. h. erlebte Rede), innerer Monolog, Tempuswechsel (es ist ziemlich in Mode gekommen, besonders Kurzgeschichten im Präsens zu erzählen), die heikle Frage der Vorgeschichte (wie wird sie eingeflochten und wie viel ist verträglich), Thematik, Tempo (dazu kommen wir gleich) und noch ein Dutzend anderer Mittel, die allesamt, manchmal in erschöpfender Länge, in Schreibkursen und Standardwerken abgehandelt werden.
Was ich von all diesen Dingen halte, lässt sich ganz einfach zusammenfassen. Es steht Ihnen alles zur Verfügung, und Sie sollten alles verwenden, was die Qualität des Geschriebenen steigert, solange es der Geschichte nicht in die Quere kommt. Wenn Sie Alliterationen mögen – die Streiter der Stille bekämpfen die Nabobs der Nichtigkeit -, dann bauen Sie diese meinetwegen ein, und schauen Sie, wie sie sich auf dem Papier machen (diese hier hört sich ziemlich übel an, finde ich, wie eine Kreuzung aus Spiro Agnew und Robert Jordan). Was funktioniert, kann stehen bleiben. Was nicht … die Taste ENTFERNEN ist aus gutem Grund auf der Tastatur.
Es gibt absolut keinen Grund, warum Sie beim Schreiben engstirnig und konservativ sein sollten, doch genauso wenig besteht eine Verpflichtung, experimentelle, zerklüftete Prosa zu verfassen, nur weil die Village Voice oder The New York Review of Books behaupten, der Roman sei tot. Sie können es sich aussuchen: Althergebrachtes oder Modernes. Schreiben Sie meinetwegen auf dem Kopf, wenn Sie wollen, oder malen Sie Piktogramme mit Buntstiften! Doch egal, wie Sie schreiben, irgendwann kommt der Moment, in dem Sie das Geschriebene beurteilen und auf seine Qualität hin prüfen müssen. Meines Erachtens sollte keine Erzählung und kein Roman das Arbeitszimmer verlassen, solange der Verfasser nicht überzeugt ist, dass sein Werk einigermaßen leserfreundlich ist. Sie können nicht allen Lesern jederzeit gefallen; Sie können nicht mal einigen Lesern jederzeit gefallen, aber Sie sollten wirklich versuchen, wenigstens einigen Lesern manchmal zu gefallen. Ich glaube, William Shakespeare sagte das. Und nun, nachdem ich die Gefahrenflagge geschwungen und pflichtgemäß allen OSHA, MENSA, NASA und Writers’ Guild Richtlinien entsprochen habe, möchte ich noch einmal wiederholen, dass alles vor Ihnen auf dem Tisch liegt, bereit zur Verwendung.
Ist diese Vorstellung nicht berauschend? Ich finde ja. Probieren Sie irgendetwas aus, es kann stinknormal oder ungeheuerlich sein. Wenn es klappt, ist es gut. Wenn nicht, werfen Sie es weg. Werfen Sie es weg, auch wenn es Ihnen gefällt. Sir Arthur Quiller-Couch hat einmal gesagt: »Töte deine Lieblinge«, und damit hat er vollkommen recht gehabt.
Am ehesten sehe ich die Möglichkeit zum Ausschmücken des
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