Das Leben und das Schreiben
wollte, bekommt ihre Periode und stellt somit fest, dass sie nicht schwanger ist, wie sie teils gehofft, teils befürchtet hatte).
In den meisten Horrorgeschichten gibt es natürlich Unmengen von Blut – das gehört zum Handwerk, könnte man sagen. Doch schien mir das Blut in Carrie mehr als reine Effekthascherei zu sein. Offenbar bedeutete es etwas, auch wenn ich diese Bedeutung nicht bewusst geschaffen hatte. Beim Schreiben von Carrie hatte ich jedenfalls nicht innegehalten und gedacht: »Ah, mit dieser ganzen Blutsymbolik sammle ich bestimmt Punkte bei den Kritikern« oder »Junge, Junge, damit schaffe ich es mit Sicherheit in ein oder zwei Universitätsbuchhandlungen«. Da müsste ein Schriftsteller schon ein ganzes Stück verrückter sein als ich, um in Carrie einen intellektuellen Höhenflug zu sehen.
Intellektueller Höhenflug oder nicht, nachdem ich mit dem Lesen der mit Bier und Tee befleckten Rohfassung begonnen hatte, war die Bedeutung von all diesem Blut kaum zu übersehen. Ich spielte also mit der Bedeutung, dem Symbolgehalt und den emotionalen Konnotationen von Blut und ersann so viele Assoziationen wie möglich. Es gibt viele, die meisten sind ziemlich heftig. Blut steht in engem Zusammenhang mit dem Ritual der Opferung. Bei jungen Frauen wird Blut mit körperlicher Reife und der Fähigkeit Kinder zu gebären gleichgesetzt. In der christlichen Religion (und in vielen anderen) ist Blut ein Symbol für Sünde und Erlösung. Außerdem denkt man bei Blut an die Vererbung von Eigenschaften und Begabungen innerhalb der Familie. Man sagt, das Aussehen oder jenes Verhalten »liegt einem im Blut«. Natürlich ist das nicht wissenschaftlich korrekt, denn wir wissen, dass uns so etwas eigentlich in den Genen oder den DNS-Mustern »liegt«, aber veranschaulicht wird es über das Bild des Blutes.
Diese Fähigkeit zur Verdichtung und Konzentration macht Symbolik so interessant, nützlich und – wenn richtig angewandt – so fesselnd. Eigentlich ist sie nichts anderes als bildliche Sprache, könnte man sagen.
Aber ist Symbolik erforderlich, damit ein Buch oder eine Geschichte Erfolg hat? Ganz bestimmt nicht, sie kann sogar schaden, besonders wenn man es übertreibt. Symbolik soll schmücken und bereichern, aber keine künstliche Tiefe schaffen. All die Troddeln und Quasten haben schließlich nichts mit der Geschichte zu tun, nicht wahr? Die Geschichte steht ganz für sich allein. (Hängt Ihnen das schon zum Hals heraus? Hoffentlich nicht, denn ich bin es noch lange nicht leid, das immer wieder zu sagen.)
Symbolik (und das gilt auch für den übrigen Redeschmuck) hat einen sinnvollen Zweck. Sie ist mehr als Chrom auf dem Kühlergrill. Sie kann Ihren Blick und den des Lesers schärfen und zu einem einheitlicheren und gefälligeren Eindruck des Werkes beitragen. Ich denke, Sie werden beim Lesen des Manuskripts (und beim Reden darüber) merken, ob es Symbolik enthält oder das Potenzial dazu besitzt. Wenn nicht, lassen Sie es, wie es ist. Wenn doch, wenn die Symbolik also unabdingbarer Teil des Fossils ist, das Sie ausgraben wollen, dann los! Bringen Sie sie zur Geltung. Sie wären ein Schlingel, wenn Sie das nicht täten.
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Das Gleiche gilt für die Thematik. Im Schreib- und im Literaturunterricht wird sie manchmal ärgerlicherweise viel zu wichtig genommen (und zu hochtrabend angegangen), sie wird behandelt wie die heiligste aller heiligen Kühe, obwohl sie eigentlich (jetzt nicht erschrecken) überhaupt nichts Besonderes ist. Wenn man einen Roman schreibt, wochen-und monatelang nach Worten ringt, ist man es dem Buch und sich selbst schuldig, sich nach seiner Beendigung zurückzulehnen (oder einen langen Spaziergang zu machen) und sich zu fragen, warum man sich die Mühe gemacht hat, warum man so viel Zeit investiert hat, warum es einem so wichtig war. Anders gesagt: Alfie, worum geht’s hier überhaupt?
Wenn man ein Buch verfasst, begutachtet und benennt man Tag für Tag die einzelnen Bäume. Am Ende muss man einen Schritt zurück tun und sich den Wald ansehen. Nicht jedes Buch muss mit Symbolik, Ironie und musikalischer Sprache gespickt sein (nicht ohne Grund nennt man es Prosa), aber alle Bücher, wenigstens die, die sich zu lesen lohnen, haben meiner Ansicht nach irgendein Leitthema. Während oder direkt nach der ersten Fassung ist es Ihre Aufgabe zu entscheiden, von welchem Thema oder welchen Themen Ihr Buch handelt. Bei der zweiten Fassung ist es Ihre Aufgabe – eine Ihrer Aufgaben jedenfalls –
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