Das Leben und das Schreiben
Ordnung, war zu erwarten, denn sie waren ja die Bösen. Ich war stecken geblieben, weil ich auf irgendeiner Ebene meines Verstandes einsah, dass sich die Guten und die Bösen gefährlich ähnelten, und mich erlöste die Erkenntnis, dass die Guten ein elektronisches Goldenes Kalb anbeteten und einen Weckruf benötigten. Eine Bombe im Schrank würde diesen Zweck hervorragend erfüllen.
Dadurch ging mir auf, dass sich Gewalt als Problemlösung wie ein vernichtender roter Faden durch die Natur des Menschen zieht. Das wurde zum Thema von Das letzte Gefecht , das ich bei der zweiten Fassung immer deutlich im Hinterkopf hatte. Ständig weisen die Figuren (die Bösen wie Lloyd Henreid ebenso wie die Guten, z. B. Stu Redman und Larry Underwood) darauf hin, dass »der ganze Kram [d. h. die Massenvernichtungswaffen] überall herumliegt und nur darauf wartet, benutzt zu werden.« Als die Leute aus Boulder – in aller Unschuld und nur das Beste im Sinn – vorschlagen, den alten Neon-Turm von Babel wieder zu errichten, werden sie von noch größerer Gewalt vernichtet. Die Bombenattentäter handeln natürlich auf Anweisung von Randall Flagg, doch Mutter Abagail, Flaggs Gegenspielerin, wiederholt immer wieder, »alle Dinge dienen Gott«. Wenn das stimmt, und im Sinne von Das letzte Gefecht stimmt es sicherlich, dann ist die Bombe eine Mahnung von dem da oben, der den Menschen sagen will: »Ich hab euch nicht hierher gebracht, damit ihr wieder mit demselben alten Scheiß anfangt.«
Gegen Ende des Romans (das Ende der ersten, kürzeren Version), fragt Fran Stuart Redman, ob es Hoffnung gebe, dass die Menschen je aus ihren Fehlern lernten. Stu Redman antwortet: »Ich weiß es nicht«, und hält dann inne. In der Geschichte dauert diese Pause nur so lang, wie der Leser braucht, um mit dem Auge zur letzten Zeile zu springen. In meinem Arbeitszimmer dauerte sie viel länger. Ich zerbrach mir den Kopf, was Stu sonst noch sagen konnte, suchte nach einer erhellenden Aussage. Ich wollte unbedingt eine Antwort finden, denn wenn Stu irgendwo für mich sprach, dann an dieser Stelle. Doch schließlich wiederholt Stu einfach seinen Satz: Ich weiß es nicht . Etwas Besseres fiel mir nicht ein. Manchmal bietet das Buch eine Antwort, aber nicht immer, und ich wollte die Leser, die mir über Hunderte von Seiten gefolgt waren, nicht mit einer leeren Worthülse abspeisen, die ich selbst nicht glaubte. Das letzte Gefecht hat keine Moral, keinen Leitspruch wie »Wir sollten daraus lernen, sonst zerstören wir beim nächsten Mal den gesamten verdammten Planeten«, aber wenn es mir gelungen ist, das Thema deutlich zu vermitteln, können die Leser ihre eigene Moral und ihre eigenen Schlüsse daraus ziehen und diskutieren. Das ist vollkommen in Ordnung, derartige Diskussionen gehören zu den großartigen Annehmlichkeiten des Lesens.
Obwohl ich schon vor meinem Roman über die große Seuche mit Symbolik, Metaphorik und literarischen Anspielungen gearbeitet hatte (beispielsweise hätte es ohne Dracula kein Brennen muss Salem gegeben), weiß ich doch ziemlich sicher, dass ich nie sonderlich über Leitthematik nachgedacht hatte, bevor ich in Das letzte Gefecht in eine Sackgasse geriet. Wahrscheinlich war ich der Meinung, das sei etwas für Klugscheißer und Besserwisser. Wenn ich meine Geschichte nicht unbedingt hätte retten wollen, wäre ich wohl auch nicht so schnell darauf gekommen.
Ich war erstaunt, wie überaus nützlich »thematisches Denken« sein kann. Es war tatsächlich mehr als das neblige Konstrukt, über das zu schreiben wir von Englischprofessoren bei der Zwischenprüfung gezwungen wurden (»Diskutieren Sie die Thematik von Die Weisheit des Blutes (Originaltitel: Wise Blood ) in drei wohlstrukturierten Absätzen, 30 Punkte«). Es war ein weiteres praktisches Instrument für den Werkzeugkasten, nicht unähnlich einer Lupe.
Seit meiner Erkenntnis beim Spaziergang, als mir die Bombe im Schrank einfiel, habe ich nie wieder gezögert, mich vor Beginn der zweiten Fassung oder bei einem Ideen-Leerlauf in der ersten Fassung zu fragen, worüber ich eigentlich schreibe, warum ich also damit meine Zeit verbringe, wenn ich doch Gitarre spielen oder Motorrad fahren könnte, warum ich mich überhaupt an den Schreibtisch gesetzt und dort geackert habe. Die Antwort liegt nicht unbedingt auf der Hand, aber gewöhnlich gibt es eine, und gewöhnlich ist sie auch nicht allzu schwer zu finden.
Ich glaube, dass kein Autor über einen unendlichen Fundus an
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