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Das Leben und das Schreiben

Das Leben und das Schreiben

Titel: Das Leben und das Schreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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langweilig war, mit immer denselben alten Bäumen und schwatzhaften, boshaften Eichelhähern und Eichhörnchen. Wenn die Kreativität im Stau festsitzt, kann Langeweile sehr heilsam sein. Gelangweilt ging ich also spazieren und zerbrach mir den Kopf über das gewaltige, nutzlose Manuskript.
    Wochenlang kam ich keinen Schritt weiter – alles schien zu schwer, zu verflucht komplex zu sein. Ich hatte zu viele Handlungsfäden ausgelegt, und jetzt drohten sie zu verheddern. Ich ging das Problem immer wieder von allen Seiten an, traktierte es mit den Fäusten, schlug mit dem Kopf dagegen … und dann eines Tages, als ich an nichts Besonderes dachte, kam mir die Lösung in den Sinn. Sie war vollkommen perfekt, ein Geistesblitz in Geschenkpapier verpackt, könnte man sagen. Ich lief nach Hause und kritzelte sie schnell aufs Papier. Das war das einzige Mal, dass ich so etwas tat, weil ich zu große Angst hatte, den Einfall zu vergessen.
    Folgendes hatte ich eingesehen: Das Amerika, in dem Das letzte Gefecht spielte, mochte zwar von der Epidemie entvölkert sein, doch die Welt meiner Geschichte war gefährlich überbevölkert, ein buchstäbliches Kalkutta. Die Lösung meines Dilemmas könnte so ähnlich aussehen wie die Ausgangssituation des Buches, dachte ich – statt einer Seuche diesmal eine Explosion, aber ebenfalls ein kurzer, brutaler Hieb durch den Gordischen Knoten. Die Überlebenden würde ich auf eine Mission von Boulder gen Westen nach Las Vegas schicken. Sie sollten sofort aufbrechen, ohne Verpflegung, ohne Plan, so wie sich die Menschen in der Bibel auf der Suche nach einer Vision oder nach dem Willen Gottes aufmachen. In Las Vegas würden sie auf Randall Flagg treffen, und die Guten und die Bösen würden ihr letztes Gefecht austragen müssen.
    Noch einen Moment zuvor hatte ich weder aus noch ein gewusst, im nächsten lag alles klar auf der Hand. Wenn es etwas gibt, das ich am Schreiben noch mehr liebe als alles andere, dann ist das diese plötzliche Erkenntnis, wenn man versteht, wie alles zusammenhängt. Ich habe dafür den Ausdruck »über den Tellerrand hinaussehen« gehört, und er passt; manche nennen es auch »Überlogik«, und das passt auch. Wie man’s auch nennt, ich hielt meine Gedanken in fiebriger Begeisterung auf ein, zwei Blättern fest und ließ mir diese Lösung dann in den nächsten zwei oder drei Tagen durch den Kopf gehen. Ich suchte nach Fehlern oder Löchern (und spann den Erzählfaden, denn zwei Nebenfiguren mussten die Bombe im Schrank einer Hauptfigur platzieren), aber eigentlich nur, weil ich das Gefühl hatte: Das ist zu schön, um wahr zu sein. Ob zu schön oder nicht, als ich diesen Geistesblitz hatte, erkannte ich, dass es wahr war : Die Bombe in Nick Andros’ Schrank löste all meine Probleme mit der Erzählung auf einen Schlag. Und so war es auch. Der Rest des Buches war eine Sache von neun Wochen.
    Später, als die Rohfassung von Das letzte Gefecht abgeschlossen war, konnte ich klarer sehen, warum ich mich mittendrin so festgefahren hatte. Es war sehr viel einfacher, ohne diese Stimme in meinem Kopf darüber nachzudenken, die in einem fort jammerte: » Ich verliere mein Buch! O Scheiße, schon fünfhundert Seiten, und jetzt verliere ich mein Buch! Alarmstufe Rot! ALARMSTUFE ROT!« Mir gelang nun auch zu analysieren, was mich aus der Erstarrung befreite – und darin steckte eine gewisse Ironie: Ich hatte mein Buch gerettet, indem ich fast die Hälfte der Figuren in die Luft jagte (denn es gab genau genommen zwei Explosionen: die in Boulder wird durch einen ähnlichen Sabotageakt in Las Vegas ausgeglichen).
    Ich fand heraus, dass der wahre Grund für mein Elend meine Leute in Boulder waren, die Guten, die nach den Wirren der Seuche in dieselbe alte Falle tappten, nämlich auf die Technik zu setzen. Die ersten zögerlichen Mitteilungen über CB-Funk, die alle Menschen nach Boulder führen sollten, würden bald das Fernsehen nach sich ziehen; Infomercials und Neunhunderter-Servicenummern wären in null Komma nichts wieder auf dem Plan. Und auch Kraftwerke gäbe es wieder. Meine Leute in Boulder würden mit Sicherheit nicht lange brauchen, um zu dem Entschluss zu gelangen, es sei viel wichtiger, Kühlschränke und Klimaanlagen in Gang zu setzen als den Willen Gottes geschehen zu lassen, der sie gerettet hatte. In Vegas lernten Randall Flagg und seine Freunde bereits, wie Flugzeuge und Bomber zu fliegen waren, bauten auch die Elektrizität schnell wieder auf, aber das war in

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