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Das Leben Zimmer 18 und du

Das Leben Zimmer 18 und du

Titel: Das Leben Zimmer 18 und du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Salchow
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das mir unter anderen Umständen den letzten Nerv rauben würde. Hier jedoch gefällt es mir, ihnen zuzuhören und als entspannter Beobachter im Publikum ihres Schauspiels zu sitzen. Ein Schauspiel, das aus oberflächlichen Witzen und dem Austausch unerwünschter Wurstscheiben besteht.
    Ich schaue aus dem Fenster und sehe den Schneeflocken beim Tanzen zu. Seit Wochen zieht sich der Winter unermüdlich in nicht enden wollenden Bahnen durch die Tage. Stur. Dickköpfig. Beinahe wie das Leben.
    Wie sehr ich den Frühling herbeisehne. Wir sehr wir alle hier den Frühling herbeisehnen. Aber er scheint sich der verzögerten Genesung anzupassen und so lange unter hartnäckigen Schneedecken zu warten, bis sich der Gesundheitszustand langsam in Richtung Sonne bewegt.
    Sonne.
    Bastian.
    Was er wohl gerade macht? Sicher wird auch auf seiner Station um diese Zeit gegessen.
    Ich ertappe mich selbst dabei, immer wieder an ihn zu denken, obwohl ich ihn kaum kenne. Für den Hauch eines Moments schreibe ich meine vermutlich unangebrachten Gedanken der Suche nach Ablenkung zu und doch spüre ich unterbewusst, dass das unmöglich alles sein kann.
    Nein, da ist mehr. Irgendetwas an ihm fasziniert mich aus Gründen, die nichts mit meiner Krankheit oder dem Wunsch nach Genesung zu tun haben. Und doch lässt sich diese Gewissheit noch nicht in Worte fassen.
    „Hattest du heute Besuch?“, fragt Carmen, die mir schräg gegenüber sitzt und an einer Apfelscheibe kaut.
    „Mein Vater“, antworte ich leicht abwesend.
    „Ich werde ab morgen Tagespatientin“, entgegnet sie stolz.
    „Echt?“, frage ich in beinahe aufrichtigem Interesse.
    „Ja.“ Sie nickt. „Ich muss nur zu den Mahlzeiten und Therapien hier sein, danach kann ich nach Hause und dort übernachten.“
    „Toll“, antworte ich, „das freut mich für dich.“
    Carmen strahlt. Es ist das Lächeln einer Frau, die die Freiheit riecht, doch so sehr ich mich auch bemühe, es will kein Neid in mir aufkommen. Viel zu groß ist meine Angst vor der eigenen Rückkehr nach Hause. Viel zu lähmend die Fragen, die ich mir immer und immer wieder stelle: Werde ich in mein altes Leben zurückfinden? Was geschieht, wenn ich die Sicherheit der Klinikwände verlasse?
    „Gehst du nachher wieder spazieren?“, ruft mir Hanna über den Tisch hinweg zu.
    „Mal sehen“, antworte ich, obwohl ich längst weiß, dass ich es tun werde.
    Mittlerweile haben sie sich zu meinem eigenen kleinen Ritual entwickelt, die Spaziergänge auf dem Klinikgelände. Mutig trotze ich mehrmals täglich der beißenden Kälte, ziehe meine schwarze Strickmütze über die Ohren und wage mich durch die gläserne Schiebetür nach draußen.
    Ein Lächeln schiebt sich auf meine Lippen, als mir der Grund für die Spaziergänge bewusst wird: Bastian. Wieder mal. Der Flur zwischen meiner Station und dem Ausgang der Klinik führt genau an seiner Station vorbei. Schon jetzt male ich mir aus, ob es eine nächste Begegnung geben und wie sie ablaufen wird.
    „Der Kräuterquark ist eklig“, mault Ingo.
    Hanna lacht. „Dann iss ihn doch nicht, du Dödel!“
    Ich kaue wortlos an meinem Brot.
    Wenn nur alle Probleme so leicht zu lösen wären wie Kräuterquark, denke ich, während mein Blick erneut mit den Schneeflocken vor dem Fenster tanzt.

    *

    Ich schiebe meine Hände in die Manteltaschen und marschiere durch den kalten Abendwind, während sich die Klinik samt Kräuterquark und vermutlich noch immer lachender Hanna langsam wieder in meinen Augenwinkel schiebt.
    Sie sind selten lang, meine Spaziergänge und doch genieße ich jeden Schritt in freier Natur. Zumindest versuche ich, mir einzureden, dass ich es genieße.
    Viel Bewegung an der frischen Luft – das ewige Mantra der Therapeuten, das sie uns Tag für Tag zu predigen versuchen.
    Doch es ist viel weniger die Bewegung, die mich leitet, als die Freude über meine Rückkehr. Meine Rückkehr durch den Klinikeingang, um auf der ledernen Sitzreihe einen Zitronentee aus dem Kaffeeautomaten zu genießen, bevor ich auf meine Station zurückkehre.
    Meine Hände umklammern den hellbraunen Plastikbecher, während ich mich langsam auf einen der Lederstühle fallen lasse.
    Endlich sitzen. Endlich durchatmen.
    Wie schnell die einfachsten Dinge doch anstrengen können.
    Das Surren des Türöffners reißt mich aus den Gedanken. Instinktiv schaue ich nach links.
    Ist das etwa … ja.
    Ich halte den Atem an.
    In seinem Sport-Outfit habe ich ihn beinahe nicht erkannt.
    Als er mich sieht,

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