Das Leben Zimmer 18 und du
dringend, wie ich es gebraucht habe, dir diese Zeilen zu schreiben, so sehr schäme ich mich jetzt auch für sie. Was musst du nur von mir denken? Vermutlich hältst du mich sogar für eine vom Alltag gelangweilte Ehefrau, die sich nach etwas Abwechslung sehnt.
Nein. Ich weiß, dass du das nicht tust. Dafür kennst du mich einfach zu gut. Und dafür teilst du meinen Glauben an das Schicksal schon zu lange.
Schicksal. Immer wieder nehme ich dieses Wort in den Mund. Besonders geerdete Menschen würden jetzt sicher behaupten, dass das nur ein Wort ist, das man benutzt, wenn man zu feige ist, die eigene Fehlbarkeit beim Namen zu nennen. Aber weißt du was? Es ist mir inzwischen egal, wie wir es nennen oder wie es dazu gekommen ist. Ich weiß nur, dass es so ist. Und dass ich das, was in mir schreit, nicht mehr unterdrücken will. Es muss raus. Jedes Wort. Jedes Gefühl. Jeder Gedanke. Nur wie ich die Kraft dafür finden soll, das weiß ich nicht.
Weißt du, woran ich auch denken muss, wenn ich mir vorstelle, was Bastian durchgemacht hat und was ich durchgemacht habe, auch in Anbetracht der Tatsache, dass der Tod seiner Frau ziemlich genau ein Jahr her ist? Mir fällt seltsamerweise immer wieder der Klappentext zu „Das Glück im Augenwinkel“, meinem eigenen Buch, ein. Verrückt, oder? Irgendwie erinnert es mich an ihn. An uns.
„ Fast ein Jahr nach dem Tod seiner Frau Emma kehrt Simon in das gemeinsame Haus zurück, um sich endlich wieder dem Leben zu stellen. Nachdem er bei seiner Schwester und deren Familie neue Kraft gesammelt hat, macht ihm die Konfrontation mit einem Haus voller Erinnerungen nur allzu schmerzhaft seinen Verlust bewusst. Als ihm zufällig das letzte Buch, das Emma vor ihrem Tod gelesen hat, in die Hände fällt, macht er eine seltsame Entdeckung. Eine fremde Frau scheint über eine ganz bestimmte Seite des Buchs mit ihm verbunden zu sein. Ihre Botschaften zeugen von einem ebenso schweren Schicksal wie seinem. Doch was hat die Seite 139, die letzte Seite, die seine Frau gelesen hat, mit der ominösen Fremden zu tun? Und wie schafft er es, ihr zu antworten? Zum ersten Mal seit langem schöpft er neue Hoffnung. Durch eine Frau, die er nicht kennt und die zu finden unmöglich scheint …“
Bitte entschuldige, dass ich dich hier irgendwie mit hereingezogen habe, ohne dass du eine Wahl hattest. Vielleicht habe ich mich auch ausgerechnet für dich entschieden, weil du so weit weg wohnst und so mehr oder weniger Außenstehender bist. Du wirst so schnell nicht in die Situation kommen, David zu begegnen und dich in seiner Gegenwart unbehaglich zu fühlen.
Und jetzt? Ich sitze hier auf der Bettkante, wie ich es schon so viele Male zuvor getan habe – und doch ist heute alles anders. Denn ich glaube, dass ich gar nicht anders kann, als Bastian davon zu erzählen. Um ehrlich zu sein habe ich diesen Entschluss schon während meiner Autofahrt vorhin getroffen, nur ihm jetzt in den vertrauten vier Wänden umso mehr anzuzweifeln. Ich weiß aber auch, dass ich diese Gefühle nicht leugnen kann – vor anderen vielleicht, aber nicht vor mir selbst. Und mich zu belügen, das schaffe ich nicht. Es tut so weh, dagegen anzukämpfen und ich habe solche Angst, Hauke. Solche Angst, weil ich mich einerseits so stark durch Bastian fühle, andererseits aber auch so schwach, wenn ich daran denke, welche Entscheidung mir eventuell bevorsteht.
Vielleicht ist es alles auch einfach nur lächerlich. Vielleicht bin ich für Bastian auch nichts weiter als eine junge unbeholfene Frau, die seinen Beschützerinstinkt geweckt hat. Nicht mehr und nicht weniger.
Ich weiß, ich sollte das tun, was wir beide uns immer wieder sagen: Auf mein Herz hören. Aber lässt sich diese simple Antwort auch auf eine so wichtige Frage anwenden? David und ich, wir haben ein Haus zusammen. Was wird daraus? Und was wird aus Poldi, unserem Kater?
Bevor ich all dies entscheiden kann, weiß ich, dass ich es Bastian sagen muss. Ich weiß, dass ich ihm vertrauen kann und dass er dieses Wissen, wenn es notwendig ist, für sich behalten wird. Aber wie wird es weitergehen, wenn er meine Gefühle nicht teilt?
Nein. Ich weiß, dass er auch etwas für mich empfindet. Das spüre ich einfach.
Wohin soll das alles nur führen?
Ich hab keine Ahnung. Und ich habe auch keinen Schimmer, was genau ich zum Beispiel morgen um diese Zeit denke oder tue. Es ist alles so konfus. Alles ist möglich. Und doch ist alles wie immer.
Oder?
Ich glaube, es ist besser,
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