Das Leben Zimmer 18 und du
von der Schönheit der Natur beeindruckt. Die weiten Felder, das satte Grün, die herrliche Luft. Und dann natürlich die drei Wölfe und Bastian. Für eine Weile fühlte ich mich wie im Paradies.
Wir redeten wie sonst auch, nur dass wir uns diesmal irgendwie viel näher waren. Ich weiß auch nicht, warum oder wie ich es beschreiben soll. Es war vielleicht auch einfach nur ein Gefühl. Aber ist im Leben nicht alles in der Wurzel nur ein Gefühl? Entsteht nicht irgendwie jedes Leben, jede neue Idee, jeder Abschnitt aus einem Gefühl? Ein Gefühl, das irgendwann eine konkrete Idee wird, die darauf wartet, umgesetzt zu werden?
Ich konnte es mir während meines Spaziergangs nicht verkneifen, immer mal wieder so Andeutungen loszuwerden wie „Hier ist es toll, ich bleib am besten gleich hier!“, aber Bastian verstand diese Kommentare Gott sei Dank nicht so, wie sie in dem Moment gemeint waren. Denn natürlich hatte ich nicht vor, mein ganzes Leben über den Haufen zu werfen, nur weil mich ein Spaziergang in der Natur begeistert.
Aber die Wahrheit ist, dass es so viel mehr ist. Von Anfang an war es so viel mehr. Ich glaube, sogar schon in dem Moment, als ich Bastian das erste Mal in der Depressionsrunde gesehen habe. Ich wusste es. Und am liebsten würde ich ihn durchschütteln und anbrüllen: „Ich habe von Anfang an gewusst, dass du es bist!“
Weißt du, Hauke, ich kann das gar nicht beschreiben, obwohl ich mir so sehr wünsche, dass ich es in Worte fassen könnte, dass ich dich auch nur ansatzweise daran teilhaben lassen kann. Dich – und am liebsten die ganze Welt. Wann immer wir miteinander reden, Bastian und ich, habe ich das Gefühl, als würden wir dieselben Gedanken teilen, als wäre jeder unserer Atemzüge dazu bestimmt, den des anderen einzuleiten.
Es ist so verrückt. Und doch ist es so normal. So selbstverständlich. In seiner Gegenwart scheint alles richtig. ICH scheine richtig. Verstehst du, was ich meine?
Das ist wie … wie Schicksal. Und manchmal braucht es vielleicht nur einen Blick, um das Schicksal zu sehen, nur ein Wort, um es zu verstehen – und nur ein Herz, um ihm zu folgen.
Verstehst du? Ich wusste es. Ich wusste es einfach. Als wenn es vorherbestimmt wäre. Wie die Suche nach dem Sinn des Lebens, die zwei Menschen auf wundersame Weise zueinander führt. Ein Weg, der schwer ist und doch nicht klarer sein könnte.
Und immer wieder ertappe ich mich bei der Frage, ob ich all diese schrecklichen Dinge mit dem Tod von Martin und meiner Mutter nur deshalb durchmachen musste, um am anderen Ende dieses Weges Bastian kennenzulernen. Und vielleicht ist die Antwort auf diese Frage dieselbe Antwort, die Bastian zusteht – für all das, was er hat durchmachen müssen.
Sicher würde ich alles dafür tun, um diese schrecklichen Dinge, die in meinem Leben passiert sind, rückgängig zu machen, um Martin und meine Mutter wieder an meiner Seite zu wissen. Aber jetzt, da diese Tragödien geschehen sind und sich wie Narben in meine Seele gebrannt haben, ist es da so verwerflich, sich zu fragen, ob dies eine Art Belohnung ist? Die Begegnung mit Bastian? Oder ist es doch wieder nur eine Probe?
Nein. Ich spüre, dass es jemand gut mit mir meint. Dass es jemand gut mit UNS meint. Wir spielen eine so tragende Rolle im Leben des jeweils anderen, die sich unter so viel unscheinbarer Normalität versteckt, dass sie umso tragender erscheint.
Oh, Hauke, ich rede schon wieder wie ein Eso-Freak, oder? Aber ich weiß, dass du mir so ein Gerede nicht übelnimmst. Genauso wenig wie die Tatsache, dass ich schon wieder abgeschweift bin. Denn im Grunde bin ich nach wie vor beim Thema. Dieser Nachmittag lässt sich einfach nicht in Worte fassen. Alles scheint so vertraut, so bedingungslos zwischen uns zu sein.
Die Frage, ob es ihm genauso geht, stelle ich mir inzwischen gar nicht mehr. Vielleicht müsste ich es, denn im Grunde hat er nichts getan, um meine Hoffnungen zu schüren. Er ist niemand, der mich anbaggern würde oder ähnliches, immerhin weiß er, dass ich verheiratet bin. Augenscheinlich sind wir einfach nur zwei Menschen mit derselben Diagnose, die die gemeinsame Zeit nutzen, um sich gegenseitig zu helfen. Aber zwischen den Zeilen steht so viel mehr.
Ich fand es auch unheimlich süß von ihm, dass er mich auf unserem Spaziergang durch die etwas feuchten Wege immer wieder an die Hand nahm, um mich auf die trockene Seite zu ziehen. Ständig war er besorgt, dass ich ausrutsche oder hinfalle.
Als wir
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