Das Leben Zimmer 18 und du
uns gegenüber stehen, nimmt er mich in den Arm. Wie automatisch halte ich den Atem an. Ein Reflex, den ich nicht recht verstehe und der doch so typisch für unsere Begrüßung geworden ist.
Auf dem Wohnzimmertisch steht ein Teller mit einem Stück Erdbeerkuchen, das er vom Bäcker mitgebracht hat.
„Ich hoffe, du hast Hunger?“
„Ich liebe Erdbeerkuchen“, umgehe ich seine Frage.
Die Wahrheit ist, dass ich sicher bin, keinen Bissen herunterzubekommen.
Wir lassen uns nebeneinander aufs Sofa fallen.
Wortlos starre ich auf den Teller vor mir.
„Alles okay?“, fragt er besorgt.
„Ich weiß auch nicht. Ich habe das Gefühl, meiner Entscheidung immer näher zu kommen“, antworte ich leise. „Und diese Tatsache macht mir Angst. Ich weiß nicht, ob ich schon soweit bin.“
„Ich habe dir schon mal gesagt, dass du dir keinen Druck machen sollst. Wir sind bis jetzt vernünftig geblieben und das wird auch so bleiben, wenn wir es beide wollen. Du betrügst ihn nicht.“
„Aber genau darum geht es ja.“ Ich stochere in meinem Kuchen, um die Gabel schon im nächsten Moment wieder fallen zu lassen. „Sobald ich wüsste, dass das mit uns beiden ernster wird, würde ich auch die nötigen Konsequenzen ziehen. Nur ob ich dafür stark genug bin, das beschäftigt mich.“
Bastian greift nach meinen Händen und umschlingt sie in vertrauter Geste mit seinen.
Für eine Weile sitzen wir schweigend nebeneinander.
Er weiß, dass es nichts gibt, das er sagen kann. Dass er nichts tun kann, um mir die Entscheidung zu erleichtern oder abzunehmen. Und so beschränkt er sich darauf, mir allein durch die Wärme seiner Berührung ein Trost zu sein. Ein Trost, den ich dringender brauche als jemals zuvor.
„Ich weiß, dass ich es tun muss“, sage ich mit fester Stimme. „Ich weiß, dass es keinen anderen Weg gibt. David und ich, wir sind unseren Weg eine lange Zeit gemeinsam gegangen, aber wir sind mit der Zeit einfach zu verschieden geworden. Er sehnt sich nach dem normalen Leben an der Seite einer ebenso normalen Frau, während ich alles andere als normal bin. Vielleicht ist das der Grund, warum ich so unzufrieden geworden bin.“ Ich schlucke meine Tränen herunter. „Weil ich in den letzten Jahren immer mehr versucht habe, jemand zu sein, der ich nicht bin. David zuliebe, aber auch allen anderen Menschen in meinem Leben zuliebe. Aber jetzt, wo ich dich kenne, weiß ich, dass ich gut bin, ganz genau so, wie ich bin. Weil es okay ist zu träumen und die Welt aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Und weil es okay ist, anders zu sein als andere. Schon allein meine Leidenschaft, meine Fantasie – mit all diesen Dingen bin ich in meinem Umfeld oft angeeckt. Bei dir habe ich zum ersten Mal das Gefühl, mich für nichts entschuldigen zu müssen. Du duldest nicht nur, du respektierst. Und das ist einfach nur … ich weiß auch nicht … überwältigend.“
Und da ist er wieder, der Drang, die ganze Welt einatmen zu wollen.
Ein.
Aus.
Ein.
Aus.
Ich spüre Bastians Atem über mir, als er sich langsam herunterbeugt, um mir einen Kuss aufs Haar zu hauchen.
Augenblicklich streift mich ein Verlangen, das das Sehnen eines ganzen Lebens in sich trägt. Ein Verlangen, das er zu spüren scheint, denn schon im nächsten Moment küsst er behutsam meine Stirn.
Instinktiv beuge ich ihm mein Gesicht ein kleines Stück entgegen.
Mein Blick sagt mehr, als es Worte könnten.
Ehe mir ein weiterer störender Gedanke alles kaputtmacht, beugt er sich langsam über mich und berührt meine Lippen mit seinen.
Ich friere und schwitze zugleich.
Von einem Moment auf den anderen ist alles real. Jede Vorstellung wird plötzlich zur Wahrheit, jede Idee zum Greifen nah.
Unsere Zungen berühren sich wie bisher unsere Hände. Weich und warm, vertraut und selbstverständlich.
Ich möchte weinen, lachen, zerspringen. Stattdessen lege ich meine überschäumenden Gefühle in jede Berührung, die mein Herz wie von selbst zu steuern scheint.
Ich weiß nicht, ob es seine Hand oder meine ist, die den ersten Schritt wagt. Es spielt auch keine Rolle, unsere Blicke haben schon vorher alles geregelt.
Ich berühre seinen muskulösen Unterleib, als ich ihm unter das Sweatshirt fasse. Intuitiv ziehen wir uns die Klamotten vom Leib. Er liegt über mir, warm und innig wie ein Geheimnis, das endlich gelüftet ist.
Unsere Küsse sind fordernd und voll aufgestauter Emotionen. Keine Fragen mehr, keine Zweifel. Alles scheint in diesem einen Moment zu
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