Das lebendige Theorem (German Edition)
S(f) = – ∫ f log f bezeichne die Boltzmann-Entropie, die zu der Geschwindigkeitsverteilung f = f(v) gehört. Sei B ein Boltzmann’scher Kollisionskern, der für eine Konstante K B > 0 erfüllt, und bezeichne das damit verbundene Entropieproduktionsfunktional,
Sei f = f(v) eine Wahrscheinlichkeitsverteilung auf mit dem Mittel Null und Einheitstemperatur. Dann ist
wobei
Kapitel 40
Paris, 16. Februar 2010
Am späten Nachmittag in meinem großen Büro des Instituts Henri Poincaré. Ich ließ die schöne schwarze Tafel vergrößern und ein paar Möbel entfernen, um mehr Raum zu haben. Ich habe lange über die Neueinrichtung dieses Büros nachgedacht.
Zuerst wird die sperrige Klimaanlage verschwinden, im Sommer ist Hitze doch etwas Normales!
An der Wand wird eine große Vitrine einige persönliche Gegenstände und einige der Glanzstücke der Sammlung geometrischer Modelle des Instituts beherbergen.
Zu meiner Linken werde ich die etwas strenge Büste Henri Poincarés aufstellen, die mir von seinem Enkel François Poincaré versprochen wurde.
Und hinter mir habe ich eine große Fläche für ein Porträt von Catherine Ribeiro reserviert! Ich habe das Bild schon ausgewählt, das ich im Internet gefunden habe, auf dem Catherine die Arme zum Zeichen des Kampfes, des Friedens, der Kraft und der Hoffnung ausbreitet. Ausgebreitete Arme wie der Aufständische auf Goyas Gemälde Tres de Mayo im Angesicht der Soldaten Napoleons oder wie die Nausicaä von Miyazaki im Angesicht der Soldaten von Pejite. Es ist ein Bild der Kraft, aber auch der Verlassenheit und der Verletzlichkeit. Auch das mag ich: Man macht kaum Fortschritte, wenn man nicht akzeptiert, sich einer Situation auszusetzen, in der man verwundbar ist. Dieses Bild der singenden Passionara, das Baudoin in seinem wundervollen Salade niçoise reproduziert hat, brauche ich, damit es über mich wacht. Ich muss das direkt mit Catherine besprechen.
Heute gibt es wie immer Termine, Gespräche, Sitzungen. Ein langes Telefongespräch mit meinem Verwaltungsratsvorsitzenden, Generaldirektor eines Unternehmens für Versicherungs- und Wirtschaftsmathematik, der sich für den Einsatz des Privatsektors im Dienste der wissenschaftlichen Forschung begeistert. Und heute Nachmittag ein Fototermin zur Illustration eines Interviews in einer Zeitschrift für die Popularisierung der Wissenschaft. Nichts von alledem ist lästig, es ist eine spannende Welt, die ich seit sechs Monaten entdecke; neue Kontakte, neue Beziehungen, neue Gespräche.
Während der Fotograf sein Material in meinem Büro vorbereitet und Stativ und Reflektor aufbaut, klingelt das Telefon. Ich hebe zerstreut ab.
– Hallo, ja.
– Hello, is this Cédric Villani?
– Yes, this is me.
– This is László Lovász from Budapest.
Mein Herz setzt für einen Moment aus. László ist der Vorsitzende der Internationalen Mathematischen Union und als solcher Vorsitzender des Komitees zur Vergabe der Fields-Medaille. Das ist übrigens die einzige Information, die ich über dieses Komitee habe: Ich weiß nicht im Geringsten, wer außer ihm die Personen sind, aus denen es sich zusammensetzt.
– Hello, Professor Lovász, how are you doing?
– Good, I’m fine, I have news, good news for you.
– Oh, really?
Es ist wie in einem Film … ich weiß, dass das der Satz ist, den Wendelin Werner schon vor vier Jahren gehört hat. Aber so früh im Jahr?
– Yes, I’m glad to announce that you have won a Fields Medal.
– Oh, this is unbelievable! This is one of the most beautiful days in my life. What should I say?
– I think you should just be glad and accept it.
Seit Grigori Perelman die Fields-Medaille abgelehnt hat, muss das Komitee besorgt sein: Und wenn jetzt noch andere sie ablehnen würden? Aber ich bin weit von Perelmans Niveau entfernt, und ich nehme an, ohne mich zu zieren.
László spricht weiter von der Medaille. Das Komitee hat beschlossen, es den Preisträgern früh mitzuteilen, um sicherzugehen, dass die Mitteilung auch vom Komitee und nicht von einer undichten Stelle her kommt.
– It is very important that you keep it perfectly secret, fährt Lovász fort. You can tell it to your family, but that is all. None of your colleagues should know.
Ich werde das Geheimnis also die nächsten … sechs Monate bewahren. Ganz schön lange! In ganz genau sechs Monaten und drei Tagen werden die Fernsehsender der Welt die Nachricht verkünden. Bis dahin muss ich das schwere Geheimnis hüten
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