Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das lebendige Theorem (German Edition)

Das lebendige Theorem (German Edition)

Titel: Das lebendige Theorem (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cédric Villani
Vom Netzwerk:
und mich innerlich vorbereiten.
    Wie langsam sie vergehen, diese sechs Monate. In dieser Zeit gibt es zwar viele Spekulationen über die Medaillenträger, aber mein Mund bleibt versiegelt. Wie meine Lyoner Kollegin Michelle Schatzman mit einer Paraphrase eines chinesischen Weisen meint: »Die Wissenden sagen nichts, und die, die etwas sagen, wissen nichts.«
    Vor Lovász’ Anruf hatte ich mit einer 40%-igen Chance gerechnet, die Medaille zu ergattern. Jetzt bin ich bei 99%! Aber noch nicht 100%, denn es besteht die Möglichkeit einer Falschmeldung. Wie Landau es mit einem Kameraden zusammen angestellt hatte, um einem Kollegen, den sie auf dem Kieker hatten, einen Streich zu spielen: Diese Schweinehunde hatten ihm ein gefälschtes Telegramm mit Glückwünschen der Königlichen Akademie Schwedens geschickt. Herzlichen Glückwunsch, Sie haben den Nobelpreis gewonnen usw.
    Also freu’ dich nicht zu früh, Cédric, wer sagt dir, dass es wirklich Lovász am anderen Ende des Telefons war? Du wirst die Bestätigung mit der Post abwarten, bevor du dich völlig gehen lässt!
    Ach, das Geheimnis, ja … Aber der Fotograf in meinem Büro!?
    Anscheinend hat er nichts gehört, er versteht wohl kein Englisch. Hoffen wir es. Der Fototermin geht weiter. Ein Foto vor dem Institut, ein Foto mit meiner Trophäe der mathematischen Physik, …
    – Ich glaube, wir haben jetzt die Fotos für die Illustration des Artikels. Übrigens wollte ich Sie noch etwas fragen: In dem Artikel wird gesagt, dass Sie vielleicht einen Preis oder so etwas gewinnen werden?
    – Was, Sie meinen wohl die Fields-Medaille? Der Journalist spekuliert zwar darüber, aber das wird erst viel später entschieden, der Kongress findet nächsten August statt.
    – Ach so, ja. Sind Sie zuversichtlich?
    – Och, wissen Sie, das ist wirklich schwer vorherzusagen … Niemand kann das so recht wissen!
    *
    Nach dem Ersten Weltkrieg müssen die Scherben zwischen den Völkern in einem zerfallenen Europa, auf dem der Versailler Vertrag schwer lastet, wieder zusammengekittet werden. Was für die Gesellschaft gilt, gilt auch für die Wissenschaft: Institutionen müssen wieder aufgebaut werden.
    Während in Frankreich der Mathematiker und Politiker Émile Borel Pläne für das Institut Henri Poincaré erstellen lässt, hat in Kanada der Mathematiker John Charles Fields, einflussreiches Mitglied der Internationalen Mathematischen Union, die Idee, eine Medaille für Mathematiker einzuführen, eine Belohnung, die zum einen dazu dienen würde, große Arbeiten nach dem Vorbild des Nobelpreises zu würdigen, und zum anderen, junge Talente zu fördern. Zusätzlich zu der Medaille erhielte man eine bescheidene finanzielle Belohnung.
    Fields fand die Gelder, um sein Projekt zu verwirklichen, ließ von einem kanadischen Bildhauer Illustrationen anfertigen und wählte Inschriften auf Lateinisch aus, der Universalsprache, die die Universalität der Mathematik widerspiegeln würde.
    Auf der Vorderseite ist das Profil von Archimedes zu sehen, begleitet von der Inschrift TRANSIRE SUUM PECTUS MUNDOQUE POTIRI – über sich selbst hinauswachsen und die Welt erobern.
    Auf der Rückseite sind Lorbeerblätter, die Illustration eines Theorems von Archimedes zur Berechnung des Rauminhalts von Kugeln und Zylindern und die Inschrift CONGREGATI EX TOTO ORBE MATHEMATICI OB SCRIPTA INSIGNIA TRIBUERE – Die versammelten Mathematiker aus der ganzen Welt haben außergewöhnliche Beiträge belohnt.
    Und auf dem Rand stehen der Name des Preisträgers und das Jahr der Auszeichnung.
    Das Ganze ist aus massivem Gold.
    Er wollte dieser Belohnung zwar keinen Namen geben, aber bei seinem Tod drängte sich der Name »Fields-Medaille« auf. 1936 wurde sie erstmals verliehen und dann seit 1950 alle vier Jahre anlässlich des Internationalen Mathematikerkongresses, dem großen Stelldichein der Welt der Mathematik, ein Ereignis, das heutzutage bis zu 5000 Teilnehmer an einem Ort versammelt, der vom einen zum anderen Mal wechselt.
    Um Fields’ Willen zu entsprechen, dass der Preis eine Ermutigung sein soll, wird er an Forscher unter 40 Jahren verliehen. 2006 wurde die Regel der Alterszählung präzisiert: höchstens 40 Jahre am 1. Januar des Jahres, in dem der Kongress stattfindet. Was die Anzahl der Medaillen angeht, so variiert sie zwischen 2 und 4 bei den verschiedenen Verleihungen.
    Eine feste Sperrfrist mit Bezug auf die Entscheidung der Jury und eine ernsthafte Vorbereitung der Presse garantieren, dass die

Weitere Kostenlose Bücher