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Das lebendige Theorem (German Edition)

Das lebendige Theorem (German Edition)

Titel: Das lebendige Theorem (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cédric Villani
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Verleihung der Fields-Medaillen in der Welt der Mathematik einen beispiellosen Widerhall hat. Die Medaille wird häufig vom Oberhaupt des Staates verliehen, in dem der Kongress stattfindet, und die Nachricht verbreitet sich im Anschluss daran um die ganze Welt.

Kapitel 41
    RER B, 6. Mai 2010
    Unter den öffentlichen Pariser Verkehrsmitteln sind die RER-Züge in verschiedener Hinsicht alle bemerkenswert. Über den RER B, den ich täglich benutze, kann man sagen, dass er so gut wie jeden Tag eine Panne hat und dass er manchmal bis Mitternacht oder ein Uhr morgens überfüllt ist. (Man sollte fair sein, er hat auch seine Vorzüge: Er sorgt dafür, dass seine Fahrgäste sich regelmäßig körperlich ertüchtigen, indem er sie unterwegs öfter den Zug wechseln lässt; und er kümmert sich auch um ihre intellektuelle Wendigkeit, indem er ihnen die Ankunftszeiten der Züge und die angefahrenen Stationen vorenthält.)
    Aber heute Morgen kommt er sehr, sehr früh, und der Wagen ist fast leer. Auf der Rückkehr von einer Tagung in Kairo fahre ich nach Hause.
    Die Fahrt nach Kairo war prächtig. Ich war in Gesellschaft der reizendsten Passagierin, die es je gab. Wir haben auf meinem Computer zusammen einen Film angeschaut, unseren Kopfhörer wie Bruder und Schwester geteilt (man sollte immer in der Economyclass fliegen, die Mädchen sind dort statistisch gesehen reizender).
    Der Rückflug war in jeder Hinsicht weniger glanzvoll. Und vor allem kam ich am Flughafen Charles-de-Gaulle nach 22 Uhr an, wobei ich mir die schlimmsten Unannehmlichkeiten zuzog (man sollte nie ein Ticket für einen Flug kaufen, der nach 22 Uhr am CDG ankommt). Es ist nicht mehr möglich, den RER nach Paris zu nehmen, ich wollte aber auch nicht das Handtuch werfen und ein Taxi nehmen, also habe ich auf den Shuttle-Bus gewartet … Der erste war voll, bevor er überhaupt bei meiner Haltestelle eintraf, der zweite war ebenfalls voll; was den Einstieg in den dritten betrifft, so wäre das denkbar gewesen, wenn ich – wie andere Passagiere – mich dafür entschieden hätte, mit Gewalt einzusteigen und über die Anweisungen des Fahrers hinwegzugehen. Kurz, ich bin um zwei Uhr morgens in Paris angekommen. Glücklicherweise war meine ehemalige Pariser Wohnung leer, und ich konnte dort einige Stunden schlafen, bevor ich mich in Richtung auf die südliche Vorstadt wieder auf den Weg machte.
    Im RER sehe ich meine Post durch, offline wie immer. So viele E-Mails … Aber seit Lovász’ Anruf im Februar und der einige Tage später erhaltenen Bestätigung, beginne ich, weniger Druck auf meinen Schultern zu spüren. Das kam nicht schlagartig: Es wird noch Monate dauern, bis das Gefühl von Dringlichkeit verschwindet. Und außerdem bin ich in dreieinhalb Monaten einem anderen Druck ausgesetzt. In der Zwischenzeit sollte ich dieses Gefühl von Lockerung genießen.
    Eine Nachricht teilt mir mit, dass ich der Einzige bin, der für die Stelle 1928 an der Universität Lyon-I zur Versetzung berücksichtigt wurde. Eine gute Nachricht. 1928 konnte mir ohnehin nur Glück bringen, das ist das Gründungsjahr des Institut Poincaré! Die Versetzung an die Universität Lyon-I wird mir ermöglichen, eine wissenschaftliche Anbindung an Lyon zu bewahren, ohne dabei eine Stelle an der École Normale Supérieure zu blockieren, wo es nur wenige Lehrkräfte gibt.
    Eine Bettlerin versucht ihr Glück bei den spärlichen Passanten. Mit ihrer kaputten Stimme beginnt sie das Gespräch.
    – Kommst du aus dem Urlaub zurück mit dieser großen Tasche?
    – Urlaub? Oh nein! Mein letzter Urlaub war an Weihnachten … und der nächste steht noch nicht bald bevor.
    – Woher kommst du jetzt?
    – Ich war in Kairo, in Ägypten, der Arbeit wegen.
    – Das ist gut! Wo arbeitest du?
    – Ich, in der Mathematik.
    – Oh, das ist gut. Also dann, tschüs. Und viel Erfolg für deine weiteren Studien!
    Ich lächle, es macht mir großes Vergnügen, dass man mich noch für einen Studenten hält. Aber schließlich hat sie ja recht, ich bin immer noch Student … vielleicht das ganze Leben lang.
    *
    Heute saß ich im Flugzeug und habe mich damit »amüsiert«, 5 Minuten lang zu versuchen, alle elektrischen, elektronischen, elektromagnetischen, aerodynamischen, mechanischen Phänomene zu empfinden, die in und um das Flugzeug herum stattfanden. Alle diese kleinen gesonderten Phänomene, die ein funktionierendes Ganzes bilden! Es ist faszinierend, sich dessen bewusst zu werden, was uns umgibt …

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