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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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nachgeschwommen, hat es ans Ufer gezogen und sich in die Sonne gesetzt, bis er wieder trocken war.
    Du gehst bald wieder nach Amerika, sagte sie.
    Ja. Sobald das Severinzeug fertig ist.
    Ich will auch nach Amerika. Nimm mich mit.
    Wie stellst du dir das vor?
    Sie schwieg. Wir sind da unter den Planken des Zufahrtsstegs auf die Schwimmkörper geklettert, sagte ich, und kurz bevor die Fähre abgelegt hat, sind wir hinübergesprungen auf die Schwimmkörper der Fähre.
    Wenn du mich mitnimmst, kannst du mich vögeln, sagte sie. Sofort. Wann immer du willst. Und drüben dann auch.
    Das sind eineinhalb Meter zwischen den Schwimmkörpern, sagte ich. Nicht ungefährlich. Wenn du da hineingerätst zwischen Fähre und Anlegesteg! Wir waren jung und dumm. Haben uns die Fahrkarte erspart, das war nicht einmal ein Schilling.

62
    Zeit, ans Ende zu kommen. Dylan und Kohl und Severinus und die vertrottelten Helden Mays okkupierten immer größere Areale in meinem Hirn. Die Vorstellung, mit dem Wasserluchsweibchen zu schlafen, fand keinen Raum neben ihnen, wie ein in Sturmregen geratener Schmetterling mit zunehmend nachlassender Kraft die nassen Flügel hektisch schlägt auf der vergeblichen Suche nach einem trockenen Landeplatz, so flatterte das Zusammendenken meines alten, fetten Leibes mit ihren Schenkeln und Brüsten und ihrem süßen, festen, jungen Bäuchlein verzweifelt durch meinen Kopf und fand keinen Platz. Es musste aufhören.
    Nur eines noch will hier erledigt sein, Antwort suchen bei dem fein lieb Mütterlein, summte die Eiche mit träger wollüstiger Stimme dazwischen, dies ist ein Auftrag, flüsterte sie mir die halbe Nacht durch in die Ohren, mach Schluss, die Geschichte ist reif für den Schluss. Dass mir doch der Anfang fehle, immer noch, antwortete ich, ein Anfang, aus dem heraus sich etwas erklären ließe, da lachte sie und konnte nicht mehr aufhören. Als ob sich irgendetwas erklären ließe! Und ich wünschte, so heiß wie der Vergeblichkeit des Wunsches bewusst, ich wäre Johann Georg Kohl und besäße seinen unerschütterlichen Glauben, es sei möglich herauszufinden, was all das bedeutet, das man sieht und hört und erzählt bekommt. Wünschte mir seine Hartnäckigkeit, mit der er jahrzehntelang durch Europa und Nordamerika gereist war und gesammelt, gesammelt, gesammelt hatte, alles irgendwie Greifbare aufgehoben und aufgesogen und hineingepresst hatte in seine Reisebestseller. Wünschte so sehr, ich wäre wie Kohl, den wie Hrabals Herrn Hănta hundert Jahre später die lustvolle Hoffnung angetrieben hatte, etwas zu erfahren, das er noch nicht gewusst hatte über die Welt und das Leben und sich selbst. Und die Hoffnung, einmal etwas zu finden, das seine Person und sein Sein qualitativ verändert hätte. Kohl ist ein Narr, wisperte die Eiche, Kohl wusste nicht, was Hrabal wusste. Dass die Hoffnungen des Herrn Hănta törichte Hoffnungen sind.
    Ich beneidete Kohl darum, wie er den Dingen und Gegebenheiten entgegentreten ist mit dem unerschütterlichen Willen, alles zu erklären, und dem unverdrossenen Glauben, alles sei erklärbar. Und ich beneidete ihn um seine Leser, denen er alle paar Seiten Sätze, ja, ganze Absätze in Englisch und in Französisch zumutete, ohne jede Erklärung oder Übersetzung. Wohin nur ist es entschwunden, dieses Publikum für Geschriebenes, das von den Lesenden mehr fordert als ein paar Mausklicks bei Amazon und ein paar Stunden Zeit vor dem Einschlafen.
    Du musst sie befragen, zirpte die Eiche. Beginne mit etwas Leichtem. Frage nach dem Anfang meiner Geschichte.
    Und ich fragte meine Mutter beim nächsten Klinikbesuch, wie endet die Geschichte darüber, dass die Eiche Teufelseiche heißt. Sie antwortete gleich, hastig, kurz angebunden. Wie sie die Russen durch das Dorf getrieben haben, Gefangene, ein paar Tage, bevor der Spuk vorüber war, so sagte sie. Der Spuk vorüber. Im Heustadel beim letzten Bauernhof vor dem Hohlweg, der zur Eiche hinausführt, haben sie geschlafen, die Russen und ihre Bewacher mit den Doppelblitzen an den Jackenkrägen. Am Morgen fehlten drei. Die älteste Tochter vom Bauernhof hat das Versteck verraten, sie hat ihnen zugesehen beim Weg zum Melken im Kuhstall vor dem Morgengrauen, hat die Schatten huschen gesehen, und wo sie sich verkrochen haben. Die drei haben sie an die Eiche gestellt und erschossen und gleich neben dem Baum eingegraben, erzählte meine Mutter lapidar.
    Glühheiß haben Kugeln das Russenfleisch zerrissen, vom Schmerz in der Rinde will

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