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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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schützend rund um den Vorsitzenden gestellt hatten, zu schubsen und an den Ärmeln wegzuziehen, und dann hatten die arbeitenden Massen den Agitator erreicht und einer riss ihm das rote Büchlein aus der Hand und ein anderer ohrfeigte ihn und einer umfasste von hinten seinen Brustkasten und hob ihn hoch und trug ihn zur Tür, die arbeitende Masse johlte und klatschte Beifall, und wer die Möglichkeit bekam, verpasste dem Vorsitzenden der maoistischen Schülergruppe, wie er da in den starken Arbeiterarmen zappelte, einen Fußtritt oder einen ungezielten Schlag gegen Kopf oder Körper, und dann schmissen sie ihn in den Kies zwischen den Gastgartentischen und kündigten ihm Schlimmeres an, wenn er oder einer seiner Genossen noch einmal einen Fuß in dieses Wirtshaus setzen würde, und wir, die Bauernbuben aus dem Dorf, sollten ebenfalls auf der Stelle verschwinden, und zwar auf Nimmerwiedersehen.
    Dann spuckte einer in das Büchlein und schleuderte es dem Maoistenführer im Kies an den Kopf. Zufrieden strömten die werktätigen Massen zurück zur Schank und tranken weiter. Draußen nahm der stellvertretende Vorsitzende das Büchlein, und während der Vorsitzende sich aufrappelte und seine Kleidung abklopfte, las der Stellvertreter die Worte des Großen Vorsitzenden an die Jugend der Welt vor. Die Welt ist euer, wie sie auch unser ist, doch letzten Endes ist sie eure Welt. Ihr jungen Menschen, frisch und aufstrebend, seid das erblühende Leben, gleichsam die Sonne um acht oder neun Uhr morgens. Unsere Hoffnungen ruhen auf euch!
    Die Schüler nickten, aber irgendwie ohne die übliche Begeisterung. Der stellvertretende Vorsitzende der Gruppe rief seinen Vater an, einen Lungenfacharzt aus der Landeshauptstadt. Der kam mit dem Mercedes und brachte seinen Sohn und dessen Freunde nach Hause.
    Ich habe den Vorsitzenden der maoistischen Schülergruppe später immer wieder einmal in der Stadt getroffen, sagte ich, da war er Mehrheitsbesitzer und geschäftsführender Gesellschafter einer Werbeagentur, was ist mit den Widersprüchen im Volke?, rief ich ihm im Vorbeigehen zu, dann lächelte er schief, ist nichts geworden mit dem Zusammenschluss mit der erdrückenden Mehrheit der Menschen, was?, sagte ich dann, manchmal blieb er stehen, eine Zigarettenlänge lang. Widersprüche sind gut, sagte er, Widersprüche halten die Sache am Laufen, Widersprüche sind der Nährboden, aus dem Fortschritt und Entwicklung gedeihen. Meistens fing ich an dieser Stelle an ihn zu beschimpfen, Widersprüche gibt es nicht mehr, knurrte ich, und du bist einer von denen, die sie verschwinden haben lassen. Deinesgleichen benutzt Widersprüche in Wahrheit, um uns dazu zu bringen, das zu denken und zu wollen und zu kaufen, was euch was bringt, und damit wir das nicht merken, blendet ihr die Widersprüche weg und lasst sie verschwinden und überschwemmt uns mit lautem buntem Brei aus den Zeitungen und Fernsehern und Computern, bis uns das Hirn so brummt, dass wir lieber zu denken aufhören. Hast aber schon gemerkt, dass Mao tot ist, sagte er darauf jedes Mal und ging ohne Gruß weiter. Wenn mir sentimental zumute war, fragte ich ihn, wie es der Cousine geht, und dann redeten wir eine Weile von den guten alten Zeiten mit ihrer freien Liebe und logen uns gegenseitig Erinnerungen vor voller Wohngemeinschaftsvögeleien und Marihuananächten mit endlosen, geistreich funkelnden Gesprächen. Ein frohes Schaffen noch, sagte er dann und ging weiter.
    Wir hatten das Kraftwerk erreicht und folgten dem Radweg auf die Staumauer hinauf. Die Fähre löste sich gerade von der Ottensheimer Seite und glitt langsam vom Ufer weg. Die fliegende Brücke, sagte ich. Sie reagierte nicht. Die Leute haben das früher fliegende Brücke genannt, sagte ich. Vielleicht tun sie es jetzt immer noch. Es ist eine Drahtseilrollfähre, verstehst du, braucht keinen Motor. Die hängt an einem Seil, das über der Donau gespannt ist, sobald man das Ruder schräg stellt, fährt sie los. Als Buben sind wir da schwarz gefahren. War eine nicht ungefährliche Angelegenheit.
    Es interessierte sie nicht. Sie sah hinunter auf die Schleusentore, über die das überschüssige Wasser lief, sah aus wie eine Reihe breiter, aber nicht sehr hoher Wasserfälle. Ein Freund ist einmal im Faltboot eingeschlafen, sagte ich, da hat es ihn da drübergetrieben. Hat es gar nicht bemerkt. Er ist wach geworden, weil er plötzlich unter Wasser war, in tosenden Wirbeln. Ist dann einfach aufgetaucht, unverletzt, dem Boot

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