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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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Verheißungen einzulösen. Aber, schreibt Kohl, mitten in den Umarmungen verwandelte sich plötzlich der Lebensengel des Lakotamanns in seinen Mörder; unvermerkt und aus heiterem Himmel stieß das wilde Mädchen ihrem Freund den Dolch in das Herz, erwürgte ihn, zog ihm Haut und Haare vom Kopf und rannte flüchtigen Fußes mit dem Skalp zu den Ihren zurück. Damit schien das Problem gelöst, Kohl erklärt es nicht weiter, merkt bloß an, dass die Siebzehnjährige als Heldin des Stammes empfangen und hoch gefeiert wurde.
    Und?, fragte Trixi.
    Vielleicht bist du auch so eine blutjunge wilde Heldin, und es würde mir Angst machen, dein Geliebter zu sein.
    Idiot.
    Ja. Entschuldige. Es ist nur – es überrascht mich.
    Du willst nicht mit mir schlafen?
    Willst du denn mit mir schlafen? Mit so einem alten Mann?
    Sie sah mir in die Augen, weich und wehrlos ihr Gesicht und ihr ganzer Körper, sie kniff die Lippen irgendwie komisch gegeneinander, sollte wohl intensives Nachdenken darstellen. Dann sagte sie: Was ich wirklich will, ist das Woanderssein. Wo es besser ist. Schöner.
    Es ist nirgendwo schöner und besser, sagte ich, das ist es nur, solange man es nicht kennt, und ich kam ihr mit meinen eigenen Täuschungen und Enttäuschungen von Duluth und Hibbing und dieser krisenbedrohten Bergbau- und Stahlwerkgegend aus dem North Country Blues, so the mining gates locked and the red iron rotted and the room smelled heavy from drinking. In meinen Träumen war das Bob-Dylan-Minnesota ein amerikanisches Linz gewesen, eine dicht bewohnte und bebaute Großindustriewüste hier wie dort, aber die dort würde groß und weit sein, satt und stimmig eingebettet in eine grandiose Steinbeck- und Woody-Guthrie-Poesie, hatte ich geglaubt; dort würden Stahlwerke Würde ausstrahlen, wogegen sie hier bloß ein verschämt verschwiegenes, aber gerne angenommenes Erbe Hermann Görings sind. Und als ich dann dort war, fand sich keine Weite und Würde und Großartigkeit, Robert Zimmermans Geburtshaus an der Third Avenue East in Duluth und das Haus seiner Kindheit an der Kreuzung Seventh Avenue und 25th Street in Hibbing sind bloß langweilige, spießige amerikanische Traumhäuschen wie aus einer Highschool-Vorabendserie, putzig und kitschig, ein Albtraum aus dem Fertighauskatalog.
    Ich will was ändern, sagte sie, ich will, dass alles anders ist.
    Das wollten wir auch, sagte ich, als wir so jung waren wie du.
    Das ist aber ordentlich in die Hose gegangen. Zu so einer Welt, wie sie jetzt ist, hättet ihr sie nicht verändern brauchen. Na danke schön.
    Es ändert sich nie etwas, außer zum Schlechteren, sagte ich. Und erzählte ihr die Geschichte, wie die Maoisten damals die Welt verändern wollten, befreien, zu einer besseren machen, genau hier, sagte ich und deutete zum Kraftwerk, das etwa einen Kilometer vor uns lag, wenn du von der Staumauer aus hinübergehst durch den Austreifen, bist du in fünf Minuten bei dem Ausflugslokal. Das gibt es noch immer.
    Als ich fast noch ein Kind war, war es in die Langweiligkeit der stadtnahen Dörfer eingebrochen, das Laute, das Stimmengewirr, das Erhitzte. Das war, als sie das Kraftwerk bauten, hierherstellten neben die fliegende Brücke. Die Arbeiter lebten mitten in der Baustelle, in Holzbaracken mit aus Blechrohren gebastelten Öfen hausten sie, Männer aus dem ganzen Land, Kaprun-erfahren, Persenbeugveteranen. Das Ausflugsgasthaus am Fluss okkupierten sie als ihr Wirtshaus. Das alte, gemütliche Ausflugsgasthaus, in dem die bürgerlichen Sonntagnachmittagsausflügler aus der Hauptstadt einträchtig neben den Bauern und den Schichtarbeitern aus dem Dorf gesessen waren, an den einst rohen und wegen der schlampig gehobelten Bretter verletzungsträchtigen Biertischen, deren Holz aber lange schon so verwitterungsglatt geworden war, dass es eine Lust war, mit der bloßen Hand darüberzustreichen, wie über weichen, warmen, kürzesthaarigen Samtbelag.
    Dann aber wurde das Ausflugsgasthaus auf einmal ein paar Jahre lang Township, Stammesgebiet, gefährliches Revier, Nichtdazugehörigen nicht anzuempfehlen. Die Kraftwerksarbeiter saßen nun hier, Nacht für Nacht, sieben Tage die Woche. Wir mit unseren Mopeds fuhren gelegentlich hinaus, wenn wir Lust auf Abenteuer hatten, wir setzten uns eine Weile, zusammengedrängt wie eine Horde Zugvögel während einer von Starkregen erzwungenen Flugunterbrechung, an einen Tisch möglichst nahe der Tür, um im Falle von nicht nur angedrohten, sondern in die Tat umgesetzten

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