Das leere Land
Jahre dermaßen penetrant herausschwitzte, dass es dem wohlmeinendsten Kulturpolitiker auffallen musste.
Nein, in Frankenburg ertönt Karl Itzingers Würfelspiel . Hunderte Laiendarsteller bescheren Besuchern ein unvergessliches Erlebnis, ein Fanal gegen Fanatismus und Intoleranz, so die Werbelinie der Betreiber. Wollen damit auf bewährte österreichische Art verschwurbeln, wie braun alles um diesen Blut-und-Boden-Autor wabert, diesen bäuerlichen Naziesoteriker und Schwulstromancier, so Hitlerdeutsch war sein Schreiben, dass Schuschniggs Austrofaschisten sein Blutgericht am Haushamerfeld mit Verbot belegten. Itzinger, den sie heute als Heimatdichter preisen, nach dem sie Straßen benennen, weil die Themen seiner Bücher schließlich aus dem Jahre 1625 stammten, da könne man doch wirklich keine gefährliche Tendenz unterschieben. Als hätte er das Tagebuch vom 10. Februar bis 14. März 1938 nicht geschrieben, das er selbst als Protokoll der letzten Jahre des Kampfes und ersten Tage des Sieges bezeichnet hatte. Itzinger, der illegale SA -Mann, dann Gauhauptstellenleiter für die bäuerliche Nachwuchserziehung im Gau Oberdonau. Seine Sprache verrät ihn, sogar die entschärfte und von allzu Völkischem gereinigte. Pfaffenbluet und Herrensaft gibt den Waffen guete Kraft! So freiluftschauspielert es da seit achtzig Jahren jeden zweiten Sommer am Originalschauplatz der Bauernkriegstragödie in Leitrachstätten, Katastralgemeinde Frankenburg.
Im Fernsehen war am Vorabend der Beitrag über Wasserluchsweibchens Video der mit Abstand längste gewesen. Die rothaarige Moderatorin hatte mit beinahe genauso viel Aufgeregtheit in der Stimme die weiteren Berichte angekündigt: Oberösterreich ist stolz auf seinen Turbo-Beamten! Ibmer Moor gefährdet! In der ersten Nachricht wurde ein stellvertretender Bezirkshauptmann vorgestellt, der seine Beamten angehalten habe, Bescheide rascher als bisher auszustellen, in der zweiten ein Innviertler Privatgelehrter, der seit Jahren akribisch genau Tuschezeichnungen von nur im Ibmer Moor vorkommenden Mikroalgen anfertigte, dem nun aufgefallen war, dass die Algenpopulation abnehme. Er führte das zurück auf Bestandserhöhungen landwirtschaftlicher Nutztiere und stark zunehmende Einbringung von Gülle in die Moorgewässer.
Ich wählte Trixis Nummer, sie hob tatsächlich ab. Ich habe dich im Fernsehen gesehen, sagte ich.
Gibt’s nicht.
Gestern. In den Regionalnachrichten. Und dann in den Hauptabendnachrichten.
Das bin nicht ich.
Im Netz steht auch schon das komplette Video.
Schön.
Deine Haare sind anders. Hast du da Stylisten gehabt, wo sie das Video gedreht haben?
Ich bin es nicht.
Wenn du eine Möglichkeit hast, an einen Fernseher zu kommen, musst du dir heute Abend die Nachrichten anschauen. Bei dir daheim, da demonstrieren sie zu Tausenden. Für dich. Franzobel hält eine Rede. Das Motto lautet: Die Würfel sind noch nicht gefallen! Verstehst du? Kleine Anspielung auf das Frankenburger Würfelspiel .
Ich bin aus Wesenufer, sagte sie. Frankenburg geht mir am Arsch vorbei.
Zweiundsechzig Prozent der Österreicher wollen, dass du mit deiner Familie in Österreich bleiben darfst, schreibt die Österreich-Zeitung, sagte ich. Neunundsechzig Prozent plädieren für ein endgültiges Bleiberecht für gut integrierte Asylwerberfamilien wie die deine.
Hast du nichts Besseres zu tun als fernsehen und Zeitung lesen?, sagte sie und legte auf.
Ich hatte nichts Besseres zu tun. Auf dem Jugendschreibtisch in meinem früheren Kinderzimmer hatte ich die Notizen aus Kohls Reise von Linz nach Wien ausgebreitet, googelte ein wenig herum auf der Suche nach erwähnenswerten Details aus den Orten, die er 1842 besucht hatte. War nur die vage Idee eines Publikationsvorhabens. Das vergriffene Werk neu auflegen, gekürzt und bibliophil geschmackvoll aufgemacht, ergänzt um einen Reisebericht von heute, Kohls Route folgend, seinen Eindrücken und Wertungen heutige Eindrücke und Wertungen gegenüberstellend.
Wie subtil und fein könnte man da die Verästelungen und verschlungenen Wurzelwucherungen frei schälen, die sich zwischen dem Einst und dem Jetzt winden, dachte ich, als ich Kohls Besuch in der Linzer Wollzeugfabrik las. Von meiner Kindheit auf dem Fußboden der Arbeiterkleinwohnung liegend, vor mir den Express ausgebreitet, eine halbe Seite Bilder vom Abriss der letzten Reste dieser gewaltigen Burg der Frühindustrialisierung aus dem siebzehnten Jahrhundert betrachtend, könnte ich zu den
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