Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)
günstiger wäre, meinem Bruder und mir jetzt schon Teile des Vermögens zu vermachen. Gleichzeitig scheint er diesem Gedanken zu misstrauen, psychologisch gesehen.“
„In dem Sinne, dass ihr ihn dann alt, krank und einsam sterben lassen würdet?“
„Eher in der Richtung, dass wir aufhören könnten, uns im Leben anzustrengen.“
Frieders Familie hatte Geld, das wusste sie, aber es war in einer für sie erstaunlichen Weise nicht wirklich greifbar. Für Daria, die aus sehr einfachen Verhältnissen kam, war Geld stets mit der Vorstellung verbunden gewesen, es zu zeigen. Frieders Familie begnügte sich mit dem Wissen, Geld zu haben.
„Da ist noch etwas“, sagte er, knipste die Nachttischlampe an und griff nach dem Umschlag, ohne allerdings den Brief herauszunehmen. „Es geht um unsere Obstbäume im Garten. Er schafft es nicht mehr, sie abzuernten, und da es doch einige sind, will er die Nutzungsrechte an eine Gärtnerei abtreten.“
Sie stellte sich den weitläufigen, vollständig begrasten Garten vor. Das schlichte, grau verputzte Einfamilienhaus lag direkt an der Straße, und dahinter erstreckte sich eine Fläche, die eher ein Park als ein Garten zu sein schien. Frieders Vater hatte das Grundstück Anfang der fünfziger Jahre erworben, als der Boden noch spottbillig war. Daria hatte Fotos vom Neubau gesehen, als es noch so einsam lag wie ein Gehöft bzw. eine Baumschule. Aber mit den Jahrzehnten war Karlsruhe auf das Haus zugewachsen und hatte den Wert des Grundstücks kontinuierlich wachsen lassen.
„Was erstaunt dich daran?“, fragte sie.
Er holte tief Atem. „Vielleicht verfange ich mich in sentimentalen Kindheitserinnerungen, aber ich kann mir das Haus nicht vorstellen ohne die Obstblüten im Mai und die Ernte im September, Oktober – ich meine, unsere Ernte. Es ist der Kreislauf des Lebens. Was steckt da zwischen den Zeilen? Ist er krank? Ist er sauer, weil weder mein Bruder noch ich in unser Elternhaus zurückkehren wollen? Warum will er die Nutzungsrechte abgeben, anstatt einfach ein paar Studenten für die Ernte zu engagieren?“
Ein Windstoß ließ die Jalousien erzittern. Der Winter war lang und sehr kalt gewesen, und der April wirkte wie sein spätes Nachbeben. In den ersten Tagen des Monats fiel Schnee, danach regnete es heftig. Svenja, ihre achtjährige Tochter, holte sich eine hartnäckige Erkältung und durfte nur aus dem Küchenfenster auf den verwaisten Spielplatz vor dem Haus schauen.
„Ich bin gerade mehr an den Nutzungsrechten in unserer Ehe interessiert“, sagte sie und umkreiste mit dem Zeigefinger seinen Bauchnabel. Ihr Mund näherte sich seinem Ohrläppchen.
„Daria, bitte!“ Er bewegte den Kopf leicht in die andere Richtung. „Die Sache mit meinem Vater geht mir nicht aus dem Kopf.“
„Dann hole ich sie dir einfach raus.“ Ihre Zungenspitze suchte seine Ohrmuschel.
Frieder drückte seine Frau von sich weg, mit seiner rechten Hand, in der er noch den Brief hielt. Der Umschlag zerknitterte an ihrer Wange.
„Und hör’ endlich auf zu rauchen, bevor du ins Bett kommst!“ Es klang ruppiger, als er eigentlich gewollt hatte.
„Sag doch gleich: 'Hör auf, mit mir vögeln zu wollen.' Das wäre wenigstens ehrlich.“
Daria drehte sich auf die andere Seite und zog die Decke über ihren Kopf.
Gerding liegt im nördlichen Landkreis Münchens, ein Ort, der in den neunziger Jahren nach dem Bau des Flughafens im Erdinger Moos einen bemerkenswerten Aufschwung erlebte. In der Mitte zwischen Innenstadt und Flughafen gelegen, wurde Gerding gleichermaßen interessant für Betriebe wie für Wohnungssuchende. Die S-Bahn braucht zur Innenstadt nur gute zwanzig Minuten, und der bestehende Ortskern verhinderte, dass Gerding zur am Reißbrett geplanten Trabantenstadt verkam.
Frieder, Daria und Svenja fuhren zum ersten Mal nach Gerding, um sich ein Haus anzuschauen – wenn auch nicht das, welches sie ein halbes Jahr später kaufen sollten. Daria wollte unbedingt vor Svenjas Einschulung umziehen, und sie wollte, dass Svenja ihre Füße auf ein Stück Rasen setzen konnte, der ihr gehörte. Sie wohnten im vierten Stock eines Hochhauses in der Innenstadt, zu laut und zu teuer und zu kinderfeindlich; keiner regte sich über die auf Gehsteigen und wild in zweiter Reihe geparkten Autos auf, aber wehe, ein Kinderwagen stand nicht genau am vorgeschriebenen Platz im Hausflur.
An jedem Wochenende fuhren sie in die Münchener Umgebung; Daria mit dem Immobilienteil der SZ und einer
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