Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das letzte Buch

Das letzte Buch

Titel: Das letzte Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Zivkovic
Vom Netzwerk:
offensichtlich etwas auf der Zunge lag. Wahrscheinlich schien es ihr
     unangemessen, etwas zu sagen, solange der Arzt bei dem verstorbenen jungen Mann hockte.
    Nach einigen Minuten erhob er sich und gab den Sanitätern ein Zeichen. Sie klappten die Trage auseinander. Der Doktor trat
     zu uns.
    »Wenn dies der erste Fall wäre, hätte ich gewettet, es sei ein Herzinfarkt.«
    »Ein Herzinfarkt – bei einem so jungen Menschen?«, fragte ich.
    »Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viele junge Leute Probleme mit dem Herzen haben!«
    »Aber Sie zweifeln, dass es vom Herzen kommt?«, fragte Fräulein Gavrilović.
    Doktor Dimitrijević sah mich an.
    |40| »Zuerst hat es auch bei den beiden anderen nach einem Infarkt ausgesehen«, sagte ich zu Fräulein Gavrilović. »Aber es war
     keiner.«
    »Und woran sind sie dann gestorben?«
    Es verging eine Weile, ehe ich antwortete. »Das ist noch nicht festgestellt.«
    »So wird es wohl auch diesmal sein«, meinte der Doktor. »Vielleicht gibt es etwas außergewöhnlich Ungesundes in Ihrer Buchhandlung,
     gute Frau.«
    »Fräulein«, verbesserte ich ihn. »Fräulein Gavrilović. Entschuldigen Sie, ich habe versäumt, Sie vorzustellen.«
    Der Doktor streifte die Plastikhandschuhe ab und reichte ihr die Hand. »Angenehm. Doktor Dimitrijević.«
    »Etwas außergewöhnlich Ungesundes, Doktor?«
    »Drei Todesfälle in drei Tagen können wohl kaum ein Produkt des Zufalls sein. Noch dazu Todesfälle, deren Ursache wir nicht
     bestimmen können.«
    »Aber …«, brachte sie hervor, dann hielt sie kurz inne. »Aber was könnte das sein … ungesund … in einer Buchhandlung?«
    »Aufrichtig gesagt, ich habe keine Ahnung. Ich möchte Ihr Geschäft ein wenig untersuchen. Natürlich, wenn Sie einverstanden
     sind.«
    »Selbstverständlich. Wann wollen Sie das tun?«
    »Sofort, wenn Ihnen das recht ist. Sie werden doch ohnehin bald schließen, nicht wahr?« Er wies auf die schwarze Tasche, die
     er auf dem Fußboden abgestellt hatte. »Ich habe die ganze Ausrüstung dabei.«
    »Wie lange werden Sie brauchen?«
    Er schaute auf seine Armbanduhr. »Jetzt ist es Viertel nach sieben. Ich würde mich längstens bis halb neun hier aufhalten.
     Stört es Sie, wenn ich beim Arbeiten allein sein möchte?«
    »Keineswegs. Ich werde um halb neun wieder hier sein, um die Buchhandlung abzuschließen.«
    |41| »Bezieht sich das auch auf mich?«, fragte ich.
    »Ich bitte Sie darum. Vielleicht könnten Sie auch um halb neun wiederkommen?«
    »Gern«, sagte ich.
    Der Arzt wandte sich an die Sanitäter, die inzwischen die Leiche des jungen Mannes auf die Trage gelegt und mit einem grünen
     Tuch bedeckt hatten. Er nickte ihnen nur kurz zu. Das war nun schon Routine im »Papyrus«. Sie hoben die Trage an und gingen
     zur Tür.
    »Entschuldigen Sie mich für einen Augenblick«, sagte Fräulein Gavrilović und ging ins Hinterzimmer.
    Ich nahm meinen Mantel vom Sessel und zog ihn an.
    »Wonach werden Sie suchen?«, fragte ich den Doktor mit gedämpfter Stimme.
    Er sah mich einen Moment an und zuckte die Schultern. Fräulein Gavrilović kam in einem schwarzen Mantel zurück. Über dem Arm
     hielt sie einen Regenschirm.
    »Wir sehen uns um halb neun, Doktor«, sagte sie und sah mich fragend an.
    Gleichzeitig begaben wir uns zum Ausgang. Ich öffnete die Tür, ließ ihr den Vortritt und ging nach ihr hinaus.
    Einen Augenblick blieben wir vor der Buchhandlung stehen. Gegen den Regen, der unerbittlich herabrann, schützte uns ein kleines
     Vordach. Dann begannen wir beide im selben Moment mit den gleichen Worten.
    »Wollen wir …«
    Verwirrt schwiegen wir.
    »Entschuldigen Sie«, unterbrach Fräulein Gavrilović als Erste die Stille.
    »Ich habe Sie unterbrochen.«
    »Nein, ich Sie.«
    »Ich wollte Sie fragen, ob Sie womöglich Gesellschaft brauchen bis halb neun.«
    Sie lächelte erfreut. »Das wäre mir angenehm. Möchten |42| Sie vielleicht einen Tee trinken? Oder ist das ein kränkendes Angebot für einen Kriminalkommissar?«
    »Trotz des weitverbreiteten Vorurteils trinken Kriminalkommissare sehr gerne Tee. Besonders wenn sie auch Literatur mögen.«
    »Ich kenne eine ausgezeichnete Teestube in der Nähe.«
    Sie spannte den Regenschirm auf und reichte ihn mir. Er war klein, sodass wir eng nebeneinandergehen mussten, um nicht nass
     zu werden.

|43| 7.
    Die Teestube hatte nur vier kleine Tische. An einem saß ein jüngeres Paar. Sie steckten die Köpfe zusammen und schwatzten
     und kümmerten sich überhaupt

Weitere Kostenlose Bücher