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Das letzte Buch

Das letzte Buch

Titel: Das letzte Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Zivkovic
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nicht um die neuen Gäste. Drinnen war es warm, es herrschte Halbdunkel, und eine Vielzahl von
     Kräuterdüften erfüllte die Luft, trafen aufeinander, überlagerten, ergänzten, berauschten sich.
    Wir wählten einen Tisch in der Ecke. Darauf stand eine Lampe mit dunkelrotem Schirm und daneben eine Etagere mit verschiedenen
     Zutaten, die zum Tee gehören. Wir hängten die Mäntel an dem nahen Garderobenständer auf und setzten uns.
    Ein kleiner, schielender älterer Mann mit Schlitzaugen, angegrautem, bereits schütterem Haar und rheumatischen Bewegungen
     kam zu uns. Die schmalen Hosen und der Blazer, geschlossen bis obenhin, waren von gleicher Farbe wie der Lampenschirm. Er
     verbeugte sich und lächelte Fräulein Gavrilović zu.
    »Guten Abend. Willkommen. Heute etwas früher?« Seine Worte klangen gedehnt und so, als endeten sie alle mit einem Ausrufezeichen.
    »Guten Abend«, erwiderte Fräulein Gavrilović, ebenfalls lächelnd. »Wir haben früher geschlossen.«
    Der alte Mann verbeugte sich wieder.
    »Nicht viel Kunden, wenn Regen? Auch leer hier. Und Tee am besten bei kaltes Wetter. Tee und Buch. Aber Leute nicht |44| wissen, was gut.« Er seufzte. »Wie immer für Sie? Und was wünschen der Herr? Dasselbe vielleicht? Sprichwort sagt, wenn zwei,
     muss trinken dasselbe Tee.«
    Er blickte mich an und ich Fräulein Gavrilović. Mir schien, als wäre sie errötet, doch es war wohl eher der dunkelrote Schein
     der Lampe.
    »Ich empfehle Ihnen Feigentee«, sagte sie. »Es sei denn, Sie haben einen anderen Wunsch. Hier erfüllt man Ihnen fast jeden.«
    »Sollen wir das Sprichwort Lügen strafen? Außerdem, Feigentee habe ich noch nie getrunken.«
    Mit einer erneuten Verbeugung entfernte sich der Alte.
    »Ich gehe häufig nach der Arbeit hierher. Diese Teestube habe ich durch Zufall entdeckt. Sie ist vor etwa anderthalb Jahren
     eröffnet worden. Vorher mochte ich keinen Tee. Jetzt bin ich davon abhängig.«
    »Ich trinke auch gern Tee. Lindenblütentee. Manchmal denke ich, ich sollte mal auf eine andere Sorte umsteigen. Aber die Macht
     der Gewohnheit siegt. So ist das, wenn ein Mann allein lebt.«
    Sie sah mich eine Weile wortlos an.
    »Sie sind nicht verheiratet, nicht wahr?«, fragte sie schließlich. Ihre Stimme war etwas leiser geworden.
    »Man hat mich heute schon einmal so eingeschätzt. Sieht man das wirklich so sehr?«
    Lächelnd nickte sie.
    »Ich möchte doch wissen, woran.«
    Sie wies auf meine rechte Hand.
    »Sie tragen keinen Ehering.«
    Ich hätte mir an die Stirn schlagen mögen. So weit reichte also mein Scharfsinn als Detektiv!
    »Das bedeutet gar nichts«, versuchte ich mich aus der Klemme zu ziehen. »Vielleicht trage ich ihn ja nur, wenn ich bei meiner
     Ehefrau bin?«
    |45| »Sie hätten es nicht nötig, zu solch billigen Tricks Zuflucht zu nehmen! Der Ehering wäre kein Hindernis. Ganz im Gegenteil.
     Manche Frauen würden ihn als Herausforderung betrachten.«
    »Sollte ich deshalb einen anstecken?«
    Sie lachte.
    »Dann brauchten Sie nicht zu erklären, warum Sie nicht verheiratet sind.«
    »Das muss ich auch so nicht.«
    »Stimmt, Sie müssen nicht. Aber vielleicht würden Sie es freiwillig tun?«
    »Sieht man mir das auch an?«
    Sie blickte nachdenklich auf mich und schüttelte den Kopf.
    »Kommissare sind nicht gerade die begehrtesten Männer. Ihre Ehen sind in der Regel nicht von langer Dauer.«
    »Auch dann nicht, wenn sie eine literarische Ausbildung haben?«
    »Dann erst recht nicht. Diese Kombination ist irgendwie unnatürlich. Sie wirkt abschreckend auf Frauen, die trotz allem keine
     Vorurteile gegen Polizisten hegen, und in gleichem Maße auch auf solche, die etwas für belesene Männer übrighaben.«
    Ich schwieg einen Augenblick. »Würden Sie, sagen wir, so einen heiraten?«
    Die Rückkehr des alten Mannes verschonte Fräulein Gavrilović vor der Beantwortung dieser Frage.
    »Feigentee«, sagte der Alte und stellte eine Porzellankanne und zwei Teetassen vor uns hin. »Sehr gut für Erzählen. Leute
     werden munter, wenn trinken.«
    Er goss uns eine dampfende grünliche Flüssigkeit in die Tassen. Feigenduft überwog in dem Gemisch von Aromen, die uns umgaben.
    Danach folgte seine unausweichliche Verbeugung. »Wohl bekommen!« Lächelnd zog sich der Alte zurück.
    |46| »Gestatten Sie?«, fragte Fräulein Gavrilović und wies auf die Etagere auf dem Tisch.
    »Bitte sehr.«
    Sie hob die Deckel dreier einzelner Gefäße. Mit winzigen Löffeln nahm sie aus dem einen ein wenig

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