Das letzte Buch
verheiratet, dann wäre ich wohl kaum noch hier. Weshalb fragen Sie?«
|33| »Ich habe die Wette verloren.«
»Die Wette?«
»Irgendwie war ich überzeugt, dass Sie verheiratet sind. Meine falsche Annahme kostet mich eine große Nussschokolade …«
»Und wer hat sie gewonnen?«
»Meine Kollegin Sonja Vidić. Sie haben sie am Vormittag gesehen.«
»Die Blondine?«
»Sie lässt sich offenbar nicht stereotyp einordnen. Unfehlbar hat sie eingeschätzt, dass Sie nicht verheiratet sind.«
»Woran hat sie das erkannt? Wir haben kaum ein paar Worte gewechselt.«
»Vielleicht anhand irgendwelcher Merkmale, für die nur Frauen ein Auge haben. Mir sind sie jedenfalls entgangen.«
»Ich nehme an, die Nussschokolade war ihr Vorschlag?«
»Ja. Woher wissen Sie das?«
»Für gewisse Dinge habe ich auch ein Auge. Besonders, wenn sie auffällig sind.«
»Jedenfalls hat sie sich bei der Beurteilung der Männer als geschickter erwiesen als bei der Diagnose.«
»Herzinfarkt?«
»Hm, hm!«
»Sie hat mich angeherrscht, als ich sie fragte, ob sie sicher sei.«
»Im Hinblick auf die Umstände können Sie ihr das nicht übel nehmen. Sie hat mich gebeten, Ihnen ihre Entschuldigung auszurichten.«
»Die nehme ich an, wenn ich dafür eine halbe Schokolade abbekomme. Sagen Sie ihr, dass ich ihr damit eigentlich auch einen
Gefallen tue.«
Doktor Dimitrijević kicherte. »Ich denke, das lasse ich weg.«
»Die Todesursache ist wieder unbekannt?«
|34| »Ich fürchte, ja. Frau Ljubica Mitić war zwar nicht so kerngesund wie Herr Todorović, doch ihre Krankheit hat ihr nur das
Leben vergällt, es aber nicht bedroht. Sie litt an Rheuma und Asthma.«
»Was haben Sie über sie in Erfahrung gebracht?«
»Es gibt da einige Gemeinsamkeiten mit dem ersten Fall. Auch sie hat sich mit Kunst befasst. Sie hat gemalt. Vor und seit
der Rente. Sie mochte auch Katzen, aber nicht so viele. Alles war bei ihr in der Einzahl vorhanden. Eine Katze, ein Mann,
eine Tochter, die längst ihre eigene Familie gegründet hat.«
»Auch sie hat nicht wie jemand gewirkt, für den sich die Sicherheitsbehörden interessiert hätten.«
»Das stimmt.«
»Was werden Sie diesmal in den Totenschein schreiben?«
»Vorerst nichts. Die Rubrik für die Todesursache überspringe ich einfach. Ich denke, ich werde beim ›Papyrus‹ vorbeischauen
und dort mal reinriechen. Vielleicht gibt es in der Buchhandlung etwas Gesundheitsschädigendes für Senioren mit künstlerischer
Ader.«
»Von etwas so selektiv Schädigendem habe ich noch nichts gehört.«
»Ich auch nicht.«
Mein Handy klingelte.
»Einen Moment bitte.« Ich legte den Hörer auf dem Schreibtisch ab und griff in die Innentasche meines Sakkos.
»Hallo?«
»Kommissar Lukić?« Die Stimme von Fräulein Gavrilović war um mindestens eine Oktave höher als sonst.
»Was ist passiert?«
»Könnten Sie sofort kommen?«
»Hat sich jemand in den Sessel gesetzt?«
»Es ist noch einer tot.«
»Rühren Sie nichts an. Ich komme.«
|35| Rasch steckte ich das Handy in die Tasche und hob den Hörer auf.
»Da ist schon der Grund, dass Sie sich augenblicklich zur Buchhandlung begeben. Wir haben einen dritten Toten.«
|36| 6.
Gleich, als ich die Buchhandlung betrat, warf ich einen Blick auf den verhängnisvollen Sessel. Darin saß eine Frau mittleren
Alters mit einem feschen Hütchen und einem Buch im Schoß. Sie war verwirrt und erschrocken, aber jedenfalls nicht tot.
Ich schaute mich im »Papyrus« um. Noch nie hatte ich die Buchhandlung so voll gesehen. Es mussten mindestens zwanzig Besucher
sein, die auch alle sehr lebendig aussahen. Das Gemurmel, das von ihnen ausging, verstummte plötzlich, und die Blicke richteten
sich auf mich. Dann begann die Menge Platz zu machen und mir Durchlass von der Tür nach links zu einem entfernten Regal zu
gewähren. Noch ehe ich alles genau erkennen konnte, sah ich dort einen Körper auf dem Fußboden liegen und um ihn herum eine
Vielzahl von Büchern.
Als ich durch das Spalier schritt, fiel mir auf, dass ich mir eigentlich Sorgen machen müsste: Ich war überzeugt, überhaupt
nicht wie ein Kriminalkommissar auszusehen, aber alle hatten mich ohne große Mühe als einen solchen erkannt. Offenbar hatte
ich eine falsche Vorstellung von mir. Ich hätte ja auch geschworen, niemand würde mir ansehen, dass ich nicht verheiratet
bin, aber diese Ärztin hatte nur einen Blick gebraucht, um mich ganz richtig einzuschätzen.
Fräulein Gavrilović stand
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