Das letzte Buch
eingebrochen, wenn man ganz legal in die Buchhandlung kommen kann?«
»Aber wie – legal? Die einzigen beiden Schlüssel haben Vera und …«
Ihr Mund blieb offen stehen. Als sie wieder zu sprechen begann, war ihre Stimme gedämpft, aber sie zitterte vor Zorn.
»Was sind das für Dummheiten! Sie werden doch wohl nicht uns beide verdächtigen, das getan zu haben?!«
»Ich verdächtige gar keinen. Ich prüfe nur die wahrscheinlichsten Möglichkeiten. Also gut, Sie waren weder gestern Abend hier
noch haben Sie die Bücher vertauscht. Da bleibt uns nur zu prüfen, wie es mit Ve… Fräulein Gavrilović steht.«
|68| Unausweichlich folgte wieder ein vorwurfsvoller Blick.
»Aber warum sollte sie dieses Chaos anrichten?«
Ich zuckte die Schultern.
»Wir wissen nicht, ob sie es getan hat. Haben Sie sie angerufen, haben Sie ihr gesagt, was passiert ist?«
»Ja, aber sie hat sich nicht gemeldet. Wenn sie samstags keinen Dienst hat, dann schläft sie länger.«
»Würden Sie es noch einmal versuchen?«
Sie zögerte ein wenig, ehe sie ins Hinterzimmer ging. Als sie zurückkam, wirkte sie verstört.
»Das ist ungewöhnlich. Es meldet sich immer noch keiner. Sie hat noch nie bis Mittag geschlafen. Ich habe sie auch übers Handy
angerufen, aber sie ist nicht erreichbar.«
»Vielleicht hat sie beschlossen, das Wochenende irgendwo allein zu verbringen. Das kann man ihr nicht verdenken. Die vergangenen
Tage waren sehr aufregend.«
»Aber das sieht Vera gar nicht ähnlich, dass sie irgendwo hinfährt und mir vorher nicht Bescheid sagt.«
»Wir wachsen alle mal aus den Kinderschuhen heraus!«
Sie explodierte nur deshalb nicht, weil in dem Augenblick die junge Frau auf uns zukam. Sie reichte Fräulein Bogdanović das
Buch, in dem sie geblättert hatte, und eine Kreditkarte. Sie bewegte noch immer lautlos die Lippen, während Fräulein Bogdanović
an der Kasse hantierte. Als sie zur Tür ging, folgten ihre Schritte dem unhörbaren Rhythmus.
»Fräulein Gavrilović hat mir von Ihren …« – ich hielt inne – »Patienten erzählt. Unter ihnen gibt es auch eine Frau mit ausgerechnet diesen Neigungen, nicht?«
Ich wies auf das Regal.
»Ich mag es nicht, wenn Vera unsere Kunden so bezeichnet. Das ist ungerecht.«
»Wie würden Sie sie denn nennen?«
»Wir sind doch alle auf eine gewisse Art Sonderlinge. Sie sind da bestimmt auch keine Ausnahme.«
|69| »Ich mache keine Unordnung im Bücherregal.«
»Aber vielleicht tun Sie etwas anderes. Und ich frage mich, ob die absonderlichen Neigungen eines Kriminalbeamten allesamt
harmlos sind …«
Wir maßen uns einige Augenblicke wie durch das Visier eines Gewehrs.
»Wissen Sie«, unterbrach ich als Erster die angespannte Stille, »diese Frau …«
»Frau Dragana Stojanović«, unterbrach sie mich. »Kustodin im Museum für Moderne Kunst.«
»Also, ob Frau Stojanović gestern Abend in der Buchhandlung war?«
»Nein.«
»Sind Sie sicher?«
»Vera hätte mir gesagt, dass sie da war.«
»Vielleicht war es ihr unwichtig erschienen im Vergleich zu den anderen Vorfällen. Oder es ist ihr entgangen. Hier war ein
ziemliches Gedränge.«
»Aber sie hätte nach ihrer Rückkehr von der Teestube bemerkt, dass die Bücher umgestellt sind. Da war kein Gedränge mehr.
Eigentlich waren nur noch Sie beide hier, stimmt’s?«
»Ja. Aber wie Sie bereits sagten, Fräulein Gavrilović war nicht zum Arbeiten aufgelegt, und da gibt man eben nicht so sehr
acht.«
Wieder richteten sich unsichtbare Visiere zwischen uns auf. Diesmal ließ sie sich als Erste vernehmen.
»Es wird das Beste sein, das zu überprüfen, wenn ich endlich Kontakt zu ihr bekomme. Ich hoffe, sie war doch nicht völlig … unaufmerksam.«
Ich zog mein Handy heraus.
»Gestatten Sie mir, das Regal zu fotografieren?«
»Wie könnte ich einem Kriminalkommissar die Erlaubnis verweigern?! Würde ich damit nicht gegen das Gesetz verstoßen?«
|70| »Nein, das würden Sie nicht. Höchstens womöglich gegen Ihr Gewissen.«
»Oh, soll ich Sie etwa auf dem Gewissen haben? Tun Sie, was Ihnen beliebt. Ich hoffe nur, Ihr Foto wird nicht in der Klatschpresse
erscheinen!«
Nun konnte ich meinerseits die Stimme nicht mehr im Zaum halten. Zum Glück beschloss der einsichtige Herr im Sessel, unser
temperamentvolles Gespräch zu ignorieren.
»Mir ist klar, dass Polizisten nicht Ihre Lieblingspersonen sind. Aber falls Sie glauben, ich hätte irgendetwas zu tun mit
dem, was heute veröffentlicht worden ist,
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