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Das letzte Buch

Das letzte Buch

Titel: Das letzte Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Zivkovic
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gesammelt habe. In den zahllosen Werken der Literatur. Verwischte, versteckte, getarnte.
     Dem normalen Auge unsichtbare. Ich versichere Ihnen, es war gar nicht so leicht, sie zu finden. Ich habe Jahrzehnte darauf
     verwandt. Mein ganzes Leben, könnte man sagen.«
    »Was für Spuren?«, fragte ich nach kurzem Zögern.
    Bevor er antworten konnte, kam der Herr vom Sessel auf uns zu.
    »Entschuldigen Sie die Störung«, er wandte sich an Fräulein Bogdanović, »könnten Sie bitte dieses Buch für mich zurücklegen?
     Ich würde es am Montag abholen.«
    Er gab ihr das Buch, in dem eine Visitenkarte steckte.
    »Natürlich, mein Herr«, erwiderte Fräulein Bogdanović und legte das Buch unter den Verkaufstisch. »Auf Wiedersehen, bis Montag
     dann.«
    »Auf Wiedersehen.«
    |74| »Was für Spuren?«, fragte ich noch einmal, nachdem die Türschellen verstummt waren.
    Der Professor antwortete nicht gleich. Er sah sich erst in der leeren Buchhandlung um, als fürchtete er, es könnte ihn dennoch
     jemand hören.
    »Die Spuren des
letzten Buches
«, sagte er schließlich leise.
    »Des
letzten Buches
?«, fragte Fräulein Bogdanović. »Davon haben Sie mir bisher nichts erzählt, Professor.«
    »Deshalb nicht, weil es ein Geheimnis war. Aber nun ist es keines mehr.« Sein Arm beschrieb einen Bogen durch den Raum. »Das
letzte Buch
ist hier irgendwo.«
    »In welchem Sinne das ›letzte‹?«
    Wieder verging eine Weile bis zur Antwort.
    »Danach gibt es kein weiteres mehr.«
    »Aber wenn es keine Bücher gibt, haben wir keine Arbeit. Wollen Sie etwa, dass wir den Laden schließen? Wo würden Sie denn
     sonst weiterforschen?«
    »Nicht nur die Buchhandlung ist bedroht! Alles ist in Gefahr! Die ganze Welt!«
    »Tatsächlich? Aber das ist ja furchtbar, Professor! Gibt es da für uns überhaupt eine Rettung?«
    »Vielleicht, wenn ich möglichst bald das
letzte Buch
finde.«
    »Dann müssen Sie sofort mit der Suche beginnen. Wir können doch nicht zulassen, dass die Welt untergeht, nicht wahr?«
    »Wie sieht denn das
letzte Buch
aus?«, fragte ich, als der Professor bereits zum nächststehenden Regal ging. Dem vorwurfsvollen Blick von Fräulein Bogdanović
     hielt ich stand.
    Er blieb stehen, drehte sich um und schüttelte den Kopf.
    »Ich weiß es nicht. Das weiß niemand. Das ist ja das größte Unglück. Es ist jedes Mal anders. Sie erkennen es erst, wenn es
     zu spät ist.«
    »Weshalb denken Sie, es sei in der Buchhandlung?«
    »Sind drei Tote nicht Beweis genug? Es ist hier, ohne Zweifel. |75| Ich habe schon gespürt, dass es hier auftauchen wird, gleich als ich zum ersten Mal diese Buchhandlung betrat. Deshalb bin
     ich auch immer wieder hergekommen. Trotzdem war ich nicht schnell genug, um es zu verhindern. Traurig, traurig!«
    Ich wollte ihn noch etwas fragen, aber Fräulein Bogdanović kam mir zuvor.
    »Wir wollen den Professor nicht aufhalten. Er hat eine wichtige Mission vor sich. Er muss die Welt retten. Tun Sie das, Herr
     Professor!«
    Professor Nedeljković kramte wieder in seinen Taschen, ehe er das Notizbuch fand. Er blätterte rasch darin, dann glitt sein
     Finger über eine Seite, den Spalten der Aufzeichnungen folgend. Er beugte sich hinunter und zog aus der untersten Regalreihe
     ein Buch. Dabei postierte er sich so, dass wir nicht sehen konnten, was er tat.
    »Wahrscheinlich haben Sie keine Erfahrung mit Sonderlingen«, sagte Fräulein Bogdanović mit halblauter Stimme. »Man darf sich
     nie wundern über das, was sie reden. Und keine überflüssigen Fragen stellen. Das Beste ist, ihnen zuzustimmen, egal, was sie
     sagen. Und sich in kein Gespräch mit ihnen einzulassen.«
    »Danke für den Ratschlag.«
    »Sie schulden mir noch mehr Dank dafür, dass ich Sie unterbrochen habe. Hätte ich es nicht getan, dann hätte er Sie noch lange
     mit seinen verrückten Einfällen genervt! Und ich bezweifle, dass Polizisten viel Zeit haben.«
    »Sonderlinge sind nicht die Einzigen, die sich unverantwortlich gegenüber Polizisten verhalten. Auch normale Menschen bereiten
     uns Kopfschmerzen. Zum Beispiel rufen sie uns des Öfteren ohne Grund.«
    Sie durchbohrte mich mit ihrem Blick.
    »Mir erschien es nicht grundlos.«
    »Jedenfalls ist jetzt alles in Ordnung. Zumindest gemessen |76| daran, dass es im ›Papyrus‹ auch weitaus aufregender zugehen kann.«
    Ihre Lippen schienen geradezu aus ihrem Gesicht zu verschwinden.
    »Müssen Sie denn immer so unerträglich sein?«
    »Nicht immer, nur bevor ich gehe. Auf Wiedersehen,

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