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Das letzte Buch

Das letzte Buch

Titel: Das letzte Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Zivkovic
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dann irren Sie sich gewaltig! Mir ist das ebenso unangenehm wie Ihnen!«
    Sie sah aus, als überlegte sie, was sie darauf antworten sollte, aber schließlich senkte sie nur den Blick auf irgendwelche
     Papiere auf dem Verkaufstisch.
    Ich ging zu dem Regal und machte ein paar Fotos aus nächster Nähe, sodass die Titel auf den Buchrücken gut zu erkennen waren.
     Das Blitzlicht veranlasste den einzigen Kunden in der Buchhandlung nicht einmal, den Blick von seinem Buch auf den Knien zu
     heben.
    Als ich zurück zur Kasse ging, ertönten die Schellen an der Tür.
    »Interessant sind Ihre Pa… Sonderlinge«, sagte ich zu Fräulein Bogdanović. »Ich würde sie gern einmal kennenlernen.«
    Sie wies kurz mit dem Kopf zur Tür.
    »Dazu haben Sie gerade Gelegenheit.«
    Ich drehte mich um und erblickte – Albert Einstein.

|71| 11.
    Die Ähnlichkeit war verblüffend. Während der Mathematikprofessor forschen Schrittes zur Kasse ging, hatte ich den unwiderstehlichen
     Eindruck, mir würde sich mit Kopf und Bart der große Physiker nähern. Die gleiche kleine Gestalt, das gleiche graue Haar wirr
     unter dem Hut, der gleiche Schnauzbart, der die Unterlippe bedeckt. Die Fliege stand schief und nur die Hälfte des Mantelkragens
     war hochgeschlagen.
    Er nahm den Hut ab und verbeugte sich zuerst vor Fräulein Bogdanović und dann vor mir.
    »Guten Tag, mein liebes Fräulein. Auch Ihnen einen guten Tag, mein Herr.«
    »Guten Tag, Professor«, sagte Fräulein Bogdanović, während ich die Verbeugung erwiderte.
    »Ich bin sogleich gekommen, als ich hörte, was geschehen ist«, sagte er und setzte den Hut wieder auf. »Schon drei Tote! Schrecklich,
     schrecklich!«
    »Was kann man da machen? Die Leute suchen sich nicht aus, wo sie sterben. Das kann ihnen überall geschehen. Der Zufall war
     uns in den letzten Tagen nicht gerade gewogen.«
    »Ach, der Zufall!«, rief der Professor aus, womit er den Herrn im Sessel wiederum dazu brachte, für einen Moment den Kopf
     zu heben. »Das ist kein Zufall! Das ist etwas weitaus … Ernsteres!«
    »Tatsächlich?«, fragte Fräulein Bogdanović mit der Stimme |72| einer Mutter, deren Kind gerade etwas sehr Geistreiches gesagt hat.
    »Was denn sonst?!«, sagte der Professor, ohne sich im Geringsten um ihren Tonfall zu kümmern. »Und an allem bin natürlich
     ich schuld. Ich war nicht schnell genug.« Er schüttelte mehrmals den Kopf. »Unverzeihlich, unverzeihlich!«
    »Ich empfehle Ihnen, vorsichtiger zu sein, lieber Professor. Es ist nicht ratsam, sich in Anwesenheit der Polizei selbst zu
     beschuldigen.« Sie wandte sich mir zu. »Das ist Kriminalkommissar Lukić.«
    Ich reichte ihm die Hand.
    »Dejan Lukić.«
    Er beugte sich etwas zurück, musterte mich und nahm meine Hand.
    »Ach so. Schön, schön. Atanasije Nedeljković. Pensionierter Mathematikprofessor. Ich fürchte nur, hier hat die Polizei nichts
     zu ermitteln.«
    »Das scheint mir auch so«, antwortete ich. »Wir befassen uns mit gewaltsamen Todesfällen, aber nicht mit natürlichen.«
    Er sah mich mitleidig an.
    »Natürlichen, sagen Sie? Na, Sie werden sich wundern!« »Sehen Sie das nicht so?«
    »Keinesfalls.«
    »Weshalb?«
    »Weil alles ganz deutlich auf etwas anderes hinweist.«
    Zuerst schob er eine Hand in die linke Manteltasche, dann in die rechte. Dann suchte er innen im Mantel weiter und fand sein
     Notizbuch schließlich in der Gesäßtasche der Hose. Es war von mittelgroßem Format, hatte Fettflecken auf dem braunen Pappeinband.
     Er klopfte leicht mit der freien Hand darauf.
    »Alles ist hier aufgeschrieben. Meine ganze Forschung.«
    »Forschung?«, fragte ich.
    |73| »Ja. Sehen Sie doch selbst.«
    Er reichte mir mit stolzer Miene das Notizheft.
    Langsam blätterte ich die Seiten voller klein geschriebener Ziffern und Symbole um. Obwohl der Professor allgemein einen eher
     nachlässigen Eindruck machte, sah hier alles sehr ordentlich aus, so wie es sich für einen Mathematiker auch gehört.
    Ich gab ihm das Notizbuch zurück.
    »Leider kenne ich mich in der Mathematik nicht besonders aus. Mein Fachgebiet ist die Literatur.«
    »Herr Lukić gehört zu einer neuen Art von Polizisten«, mischte sich Fräulein Bogdanović spöttisch ein. »Er ist ein wahres
     Vorbild an Belesenheit.«
    Wiederum musterte mich Professor Nedeljković.
    »Schön, schön. Aber hier geht es doch um Literatur.«
    Er steckte das Notizbuch in die Innentasche des Mantels.
    »Um Literatur?«, wiederholte ich.
    »Genau. Das sind alle Spuren, die ich

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