Das letzte Buch
Buchhandlung um. »Ich sehe hier nichts, weshalb
ich mit eingeschalteter Sirene hätte herjagen sollen.« |65| »Weil Sie nicht aufmerksam hinschauen. Ein Detektiv müsste aber eine hervorragende Beobachtungsgabe haben! Besonders, wenn
ihm Bücher nicht fremd sind.«
Diesmal wanderte mein Blick aufmerksamer durch den Raum. Alles sah genauso aus, wie ich es gestern Abend verlassen hatte.
Schon wollte ich Fräulein Bogdanović sagen, ich sei nicht hergekommen, um mit ihr Blindekuh zu spielen, als sie mit einem
Ausdruck von Ungeduld eine Kopfbewegung zum Regal ganz in der Nähe machte. Ich ging dorthin und schaute es mir eine Weile
an. Dann kehrte ich zum Verkaufstisch zurück.
»Die Bücher sind nicht nach Titeln geordnet.«
»Gratuliere«, sagte sie ironisch.
»Danke. Ich verstehe nur nicht, weshalb das eine Aufgabe für die Polizei ist.«
»Weil jemand sie in der Nacht umgestellt hat. Aber, wie wir wissen, ist die Buchhandlung nachts geschlossen.«
»Wann haben Sie bemerkt, dass die Bücher anders angeordnet sind?«
»Unmittelbar bevor ich Sie angerufen habe. Ein Kunde hat ein Buch verlangt. Ich wollte es aus dem Regal nehmen, aber es war
nicht an seinem Platz. Ich habe gleich gemerkt, dass auch viele andere nicht richtig stehen.«
»Nur in diesem Regal oder in allen?«
»Nur in diesem.«
»Wie lange waren Sie in der Buchhandlung, ehe Sie es festgestellt haben?«
»Etwa anderthalb Stunden. Samstags arbeiten wir von neun bis drei.«
»Sie haben hier anderthalb Stunden verbracht, und alles schien Ihnen in Ordnung zu sein, und von mir haben Sie erwartet, dass
ich schon auf den ersten Blick sehe, was nicht stimmt?«
Sie wiederholte die Bewegung, die ich noch vom vorigen |66| Mal in Erinnerung hatte: Sie schob die dicke Brille auf die Nasenwurzel. Das tat sie, um Zeit zu gewinnen.
»Ich bin kein Detektiv.«
»Aber Sie sind jeden Tag hier. Ist denn dafür eine besondere Beobachtungsgabe nötig, um eine so auffällige Veränderung zu
bemerken?«
»Ich habe nicht darauf geachtet.« Ihre Stimme wurde schriller. »Ich hatte Wichtigeres zu tun, als die Bücher anzuschauen.
Vera hat gestern Abend nicht alles erledigt, was nötig war, das hat sie mir überlassen. Ich glaube, sie hatte keine Lust zu
arbeiten.«
Fräulein Bogdanović sah mich vorwurfsvoll an.
»Haben Sie mit ihr gesprochen?«
»Sie hat sich bei mir gemeldet, ehe sie die Buchhandlung geschlossen hat. Sie hat mir alles erzählt, was passiert ist. Soweit
ich verstanden habe, hat der neue Todesfall im ›Papyrus‹ Sie beide nicht daran gehindert, genüsslich Tee zu trinken.«
»Feigentee stimuliert bei allen Gelegenheiten. Besonders nach Todesfällen. Ich kann ihn nur empfehlen! Allerdings ist die
Wirkung am besten, wenn man ihn zu zweit trinkt.«
Ihre Lippen verzogen sich zu einem dünnen Strich.
»Und was haben Sie vor zu unternehmen?«
»In welcher Angelegenheit?«
»Wegen des Einbruchs im Laden natürlich!«
»Einbruch?«
»Haben Sie nicht begriffen, dass jemand nachts eingebrochen ist und die Bücher durcheinandergebracht hat?«
»Ich habe verstanden, dass jemand die Bücher verstellt hat, aber deshalb muss er nicht eingebrochen sein. Haben Sie heute
früh beim Aufschließen der Tür etwas Ungewöhnliches am Schloss bemerkt?«
Sie dachte ein wenig nach.
»Nein. Aber das heißt gar nichts. Die Diebe sind wahrscheinlich |67| geschickt genug, um auch kompliziertere Schlösser als unseres zu öffnen, ohne Spuren zu hinterlassen.«
»O ja, Profis sind sehr geschickt darin. Aber weshalb glauben Sie, wir hätten es hier mit Dieben zu tun? Ist denn etwas gestohlen?«
Es sah aus, als wollte sie mehrere Dinge gleichzeitig sagen und könnte sich nicht entscheiden, was zuerst. Ihre Augen hinter
den Brillengläsern blitzten.
»Es ist nichts gestohlen worden!«, rief sie beinahe.
Der Herr im Sessel hob den Blick.
»Nehmen Sie mich nicht beim Wort«, fuhr sie leise fort, nachdem der Mann seine Aufmerksamkeit wieder auf sein Buch gerichtet
hatte. »Ich meinte nicht Diebe, sondern Einbrecher.«
»Sie glauben, ein Profi sei in der Nacht in die Buchhandlung eingebrochen, nur um Bücher zu verstellen?«
»Was sollte es sonst für eine Erklärung geben?«
»Wissen Sie, es gibt eine Regel bei polizeilichen Ermittlungen, die nur selten versagt – ›Ockhams Rasiermesser‹: Die einfachste
Erklärung ist die wahrscheinlichste.«
»Ich verstehe nicht, was Sie sagen wollen.«
»Weshalb die Annahme, es hätte jemand
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