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Das letzte Buch

Das letzte Buch

Titel: Das letzte Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Zivkovic
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Fräulein Bogdanović. Bitte grüßen Sie Fräulein Gavrilović, wenn Sie mit
     ihr telefonieren.«
    Als ich mich umdrehte und zur Tür ging, schickte sie mir zischend nach: »Das werde ich natürlich sofort tun!«

|77| 12.
    Die einzige Lichtquelle im Büro war der große Monitor. Als ich mich an den Computer gesetzt hatte, war es noch Tag. Ich bemerkte
     nicht, wie die Dämmerung anbrach. Einmal hob ich den Kopf, weil mein Nacken verspannt war, und wunderte mich, als ich sah,
     dass die Fenster dunkel waren.
    Ich hatte nicht erwartet, dass die Arbeit so lange dauern würde. Aber sie erwies sich als ziemlich zeitraubend. In dem Regal,
     das ich fotografiert hatte, befanden sich fast dreihundert Bücher in neun Reihen. Zuerst notierte ich alle Titel. Obwohl ich
     die Aufnahmen aus nächster Nähe gemacht hatte, war nicht immer leicht zu lesen, was auf den Buchrücken stand, nicht einmal,
     wenn ich sie auf dem Bildschirm heranzoomte.
    Als dieser vorbereitende Teil beendet war, strich ich diejenigen Titel rot an, die sich nicht in alphabetischer Reihenfolge
     befanden. Dann kopierte ich sie einzeln in ein neues Fenster. Lange betrachtete ich diese kleine Liste und versuchte, einen
     Sinn darin zu finden.
    Zuerst fragte ich mich, weshalb gerade diese Bücher umgestellt waren und nicht andere. Ihr literarischer Wert war da wohl
     kein Maßstab. Neben einigen recht bedeutenden Werken befanden sich auch Durchschnittsromane. Ich würde Vera – oder noch besser,
     Fräulein Bogdanović – einmal fragen müssen, weshalb sie sie überhaupt in der Buchhandlung |78| ausliegen hatte, die doch auf ihren tadellosen literarischen Geschmack stolz sein konnte.
    Dann fiel mir auf, dass die Auswahl nichts mit den Titeln an sich zu tun hatte. Vielleicht unterschieden sich die Bücher durch
     eine andere Eigenschaft. Sagen wir, durch Format, Einband oder Farbe des Deckels. Aus irgendeinem Grund erschien mir die Idee
     der Farbe besonders anziehend.
    Ich verkleinerte das Fenster mit dem Verzeichnis der rot angestrichenen Titel und begann wiederum die Fotos von dem Regal
     zu prüfen. Doch bald sah ich ein, dass auch darin keine Regelmäßigkeit lag. Da gab es große und kleine Bücher, feste und weiche
     Einbände, und die Farben ergaben ein chaotisches Bunt.
    Wieder zoomte ich die Liste mit den durcheinandergestellten Büchern heran und betrachtete sie. Ich weiß nicht, wie lange ich
     so dasaß und daraufstarrte. Die Zeit verging, ich wurde allmählich müde und begann mich mit dem Gedanken auszusöhnen, die
     ganze Mühe sei umsonst. Vera hatte recht. Wer auch immer die Bücher verstellt hatte, Frau Stojanović oder ein anderer, der
     hatte es wahrscheinlich aufs Geratewohl getan. Es lag kein Sinn darin.
    Ich fühlte mich niedergeschlagen, nicht nur wegen des Misserfolgs, sondern auch wegen der verlorenen Zeit. Ich griff nach
     der Maus, um die Dateien zu schließen und den Computer auszuschalten, doch so weit kam es nicht. Das Klingeln meines Handys,
     obwohl gedämpft in der dumpfen Stille des Büros, ließ mich hochfahren.
    »Hallo?«
    »Ich wollte mich für den Gruß bedanken. Er hat mich gefreut.«
    »Vera«, rief ich beinahe, »wie geht es dir?«
    »Gut. Was hast du denn erwartet?«, lachte sie.
    »Nichts, nichts. Nur, Fräulein Bogdanović war beunruhigt, weil sie dich nicht ans Telefon bekam.«
    |79| »So ist Olga. Manchmal benimmt sie sich übertrieben fürsorglich.«
    »Wie eine ältere Schwester?«
    »Sie ist zwei Jahre jünger als ich. Ihr Auftreten als Beschützerin passt also noch weniger.«
    »Ich würde sagen, sie ist nicht nur dir gegenüber so.«
    »Ihr habt euch wieder gestritten, stimmt’s?«
    »Ach, nicht wirklich. Ich bin es fast gewohnt. Ich komme schon mit ihrer Bissigkeit zurecht.«
    »Ich bin sicher, du bleibst ihr nichts schuldig. Aber trotzdem hatte sie keinen Grund, dich zu beunruhigen.«
    »Es ist immer besser, festzustellen, dass es keinen Grund gab, die Polizei zu rufen. Und übrigens, wäre ich heute nicht in
     die Buchhandlung gekommen, hätte ich die Gelegenheit verpasst, Professor Nedeljković kennenzulernen.«
    »Ach, unseren Einstein. Olga hat mir gesagt, sie hätte dich vor Unannehmlichkeiten bewahrt. Er kann manchmal aufdringlich
     sein.«
    »Mir sah er interessant aus. Schade, dass Fräulein Bogdanović uns die Möglichkeit genommen hat, uns länger zu unterhalten.«
    »Das lässt sich immer nachholen. Ich werde dir Bescheid sagen, wenn er das nächste Mal in meiner Schicht erscheint, und

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