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Das letzte Buch

Das letzte Buch

Titel: Das letzte Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Zivkovic
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dann
     könnt ihr reden, so viel ihr wollt.«
    »Wenn wir schon bei den Patienten sind … oder soll ich Sonderlinge sagen?«
    »Nur, wenn Olga in der Nähe ist.«
    »Ist gestern Abend Frau Stojanović in der Buchhandlung gewesen?«
    »Ich habe es schon zu Olga gesagt. Ich glaube nicht, aber ich bin nicht ganz sicher. Es waren so viele Leute da.«
    »Du hast keinen anderen bemerkt, der sich an den Büchern zu schaffen gemacht hat?«
    »Nein. Meine Aufmerksamkeit war vor allem auf die Kasse |80| und auf den Sessel gerichtet, und dann auch darauf, was passiert ist.«
    »Jemand hat jedenfalls die Bücher umgestellt. Fräulein Bogdanović meint, das sei nachts geschehen.«
    »So ist sie eben. Sie denkt immer an das Schlimmste.«
    »Du hast doch gestern Abend die Tür zugeschlossen, nicht wahr?«
    »Auf jeden Fall! Und nachdem du gegangen warst, ist auch keiner mehr gekommen, der sich um die bedrohte Ehre der Belletristik
     gesorgt hätte.«
    Ich hüstelte auf diese Anspielung hin und Vera lachte.
    »Ich habe gehört, du hast das Regal fotografiert. Also, bist du nun scharfsinniger als ich? Was hast du entdeckt?«
    Ich seufzte.
    »Nichts. Ich habe den ganzen Nachmittag mit Suchen verbracht, aber nichts gefunden, was irgendwie Sinn ergibt. Ich bin ganz
     erschöpft davon.«
    »Dann würde dir ein Feigentee guttun?«
    »Unbedingt! Darf ich das wieder als Einladung in die Teestube ansehen?«
    »Dort ist es schön, aber ich kenne noch einen angenehmeren Ort. Und ich habe auch alle Zutaten gekauft, die es in der Teestube
     gibt.« Sie hielt kurz inne. »Natürlich nur, wenn das ins Szenario des bereits Gelesenen passt.«
    »Das passt hervorragend hinein! Da es sich um einen Roman der gehobenen Literatur handelt, würde der Schriftsteller sich zurückhalten,
     bei der Beschreibung dieses Teetrinkens ins Detail zu gehen. Er wüsste, die Andeutung ist weitaus beredter als eine erschöpfende
     Darstellung. Sag sie mir.«
    »Was?«, fragte Vera verwirrt.
    »Na, die Adresse, wo mich der neue Feigentee erwartet.«
    »Ach so. Natürlich.«
    Da ich weder Papier noch Stift zur Hand hatte, schrieb ich |81| Veras Adresse unter das Verzeichnis der rot angestrichenen Titel auf dem Monitor.
    »Ich bin gleich da.«
    »Ich erwarte dich.«
    Ich steckte das Handy zurück in die Tasche. Es war nicht nötig, das Notizbuch aus der Schublade zu holen und ihre Adresse
     dort einzutragen. Ich merkte sie mir. Im Übrigen war sie auch in der geöffneten Datei notiert. Ich wollte nach der Maus greifen,
     um sie zu speichern, hielt aber inne.
    Das war mir schon häufiger passiert: Ich bemühe mich, eine Lösung zu finden, doch es will einfach nicht gelingen. Dann werde
     ich durch irgendetwas kurz unterbrochen, und wenn ich mich wieder an die vorige Arbeit mache, finde ich die Lösung sofort,
     als sähe ich alles plötzlich aus einem ganz anderen Blickwinkel.
    Unglaublich, wie sie mir hier stundenlang entgangen war, obwohl sie doch so auffällig war, direkt ins Auge stechend! Doch
     manchmal ist es am schwersten, das Einfachste zu sehen. Nun schienen mir die ersten Buchstaben der Liste jeweils ganz groß
     zu sein und zu blinken.
    Vertikal am linken Rand des Bildschirms stand ganz deutlich: LETZTESBUCHHIER.
    Mit fieberhaften Bewegungen sicherte ich zuerst die Datei, dann öffnete ich das Fenster mit dem Foto, auf dem sich das letzte
     Buch in der Reihe von Büchern ohne alphabetische Reihenfolge befand. Ich schrie auf, als sich meine Ahnung als richtig erwies!
     Nach dem Band, dessen Titel mit »R« begann, befand sich eine kleine Lücke, die mir vorher ebenfalls entgangen war. Eine Lücke,
     in der zuvor ein Buch gesteckt haben musste.

|82| 13.
    Der Korridor, der sich vor mir erstreckte, schien kein Ende zu nehmen. Ständig verkleinerte er sich in der Perspektive, aber
     es war keinerlei Endpunkt zu sehen. Obwohl ich lange entlangschritt, war es, als käme ich überhaupt nicht voran.
    Die Wände, der Fußboden und die Decke waren mit verschlissenem dunkelgrünem Samt ausgelegt. Ich kam mir vor wie in einer riesigen,
     endlos langen Schatulle zum Aufbewahren von Kostbarkeiten. Die Beleuchtung war gedämpft, ohne sichtbare Lichtquelle, so als
     würde der Samt von sich aus leuchten.
    An der rechten Seite kamen in unregelmäßigen Abständen Türen zum Vorschein. Sie wirkten wie verschmolzen mit der Wand, sodass
     ich sie nicht bemerkt hätte, wären da nicht die Knäufe gewesen. Ich probierte mehrmals, Türen zu öffnen, doch sie waren abgeschlossen,
    

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