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Das letzte Buch

Das letzte Buch

Titel: Das letzte Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Zivkovic
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gleichzeitig lächelten alle ihre Sommersprossen im Gesicht.
    »Es ist schon sehr lange her, dass es jemanden in meinem Leben gab, der es verdient hätte, dass ich ihm das Frühstück ans
     Bett bringe.«
    Schon wollten meine Hände das Tablett zurück auf den Nachttisch stellen. Das Frühstück konnte noch warten. Doch da erscholl
     ein Ton, den ich am wenigsten hören wollte.
    Wir sahen uns eine Weile an. Sie machte eine resignierte Miene, in meiner stand das Bedauern. Schließlich erhob sie sich,
     ging zu dem Stuhl, über den ich am Abend zuvor in Eile meinen Sakko geworfen hatte, nahm mein Handy aus der Innentasche und
     gab es mir.
    »Hallo«, sagte ich scharf.
    »Doktor Dimitrijević hier. Es tut mir leid, dass ich Sie am Sonntagvormittag störe. Wir müssen uns unbedingt treffen.«
    »Was ist passiert?«, fragte ich in sanfterem Ton.
    |92| »Ein neuer Todesfall ohne Ursache.«
    »Wie? Wo?«
    Vera setzte sich wieder auf die Bettkante.
    »Nicht in der Buchhandlung. Am besten, Sie kommen ins Institut.«
    »Ich komme.«
    Ich ließ die Hand sinken, in der ich das Handy hielt, unterbrach mit dem Daumen die Verbindung und seufzte.
    »Ich hätte es ausschalten müssen.«
    »Ein Kriminalkommissar muss doch immer erreichbar sein!«
    »Wer immer erreichbar ist, hat am Ende kein Privatleben mehr.«
    »Wem das Privatleben wichtig ist, der wird gar nicht erst Kriminalkommissar. Er befasst sich zum Beispiel mit Literatur.«
    »Aber würde er als einer, der sich mit Literatur befasst, so einer hübschen Inhaberin einer Buchhandlung überhaupt ins Auge
     fallen?«
    »Dass du einer hübschen Inhaberin einer Buchhandlung ins Auge gefallen bist, hat überhaupt nichts mit deinem Beruf zu tun.«
    »Womit denn sonst?«
    »Jetzt ist keine Zeit, um dir das zu erklären. Du hast es eilig, nicht wahr?«
    Sie streckte die Hände aus, um das Tablett zu nehmen, aber ich hielt es auf dem Schoß fest.
    »Nicht so sehr, als dass ich nicht wenigstens eine Tasse Feigentee trinken könnte.« Ich lächelte. »Manchmal muss man sich
     auch mit einem Trostpreis zufriedengeben.«
    »Der Hauptpreis wird dir nicht verloren gehen. Er wartet auf dich, bis du wiederkommst. Wenn möglich, mit ausgeschaltetem
     Handy …«

|93| 16.
    Das Institut für Gerichtsmedizin wirkte abstoßend von außen und von innen. Vielleicht hätte es nicht gepasst, wenn die Fassade
     dieses zweistöckigen Gebäudes fröhlich bunt gewesen wäre, aber das war kein Grund für das krankhafte Mausgrau, das auch bei
     herrlichstem Wetter traurig aussah, geschweige denn an einem Regentag im Herbst. Sobald man hineinkam, schlug einem der durchdringende
     Geruch von Chemikalien entgegen, der einem noch anhaftete, wenn man längst wieder gegangen war, sodass man sich nicht von
     dem Gedanken an einen unnatürlichen Tod befreien konnte.
    Hier herrschte niemals Andrang, und heute war es völlig leer. Der Pförtner wandte kaum den Kopf vom Fernseher, als ich ihm
     meine Dienstmarke zeigte. Er winkte mich kurz durch und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Fußballspiel.
    Ich ging über eine Reihe von Korridoren und Treppen zu dem Büro von Doktor Dimitrijević, das sich wohl am weitesten entfernt
     vom Eingang befand. Obgleich ich normal ging, hallten meine Schritte auf dem gefliesten Fußboden fast militärisch wider. Die
     gleichen weißen Fliesen bedeckten die Wände, und auch alles Übrige war weiß: die Decke, die Türen, die Treppengeländer, die
     Fenster, die zum Innenhof zeigten. Erst wenn man sich hier befand, dazu noch an einem Sonntag, wenn man niemanden traf, wurde
     einem klar, woher Doktor Dimitrijevićs zynischer Humor rührte.
    |94| Ich klopfte an die Tür mit einem Schild, auf dem sein Name stand.
    »Herein!«
    Als ich eintrat, erhob er sich von seinem Schreibtisch, an dem er gearbeitet hatte. Auch in dem Büro überwog das Weiß. Unterbrochen
     wurde es lediglich von dem riesigen Metallschrank an der rechten Seite. Durch die Glastür sah man eine Vielzahl verschiedenfarbiger
     Plüschtiere, vor allem Häschen und Teddybären. Ich kannte das Gerücht, dass jedes Tier für eine Autopsie stand, die der Doktor
     vorgenommen hatte, beziehungsweise, dass er aufhören würde mit dieser Tätigkeit, wenn im Schrank kein Platz mehr wäre.
    »Ach, Sie sind schon da«, sagte er in einem Ton, an dem ich nicht erkennen konnte, ob er Lob oder Tadel ausdrückte. »Wir gehen
     gleich zum Kühlschrank. Dort ist die Kollegin Vidić.«
    Der »Kühlschrank« war ein Saal, in dem in

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