Das letzte Buch
auf. So hatte
ich sie übersichtlicher vor mir, nicht nur als vertikale Aufschriften auf den Buchrücken.
Doch ehe ich mich in das Rätsel vertiefen konnte, klingelte das Telefon auf dem Ecktischchen. Ich blickte auf und überlegte,
was zu tun wäre. Es läutete noch zweimal, ehe ich mich vom Fußboden erhob. Während ich zum Telefon ging, schaltete sich der
Anrufbeantworter ein.
Die aufgezeichnete weibliche Stimme gab eine spontane Lüge von sich. Später auf den versäumten Anruf zu antworten, dazu würde
sie leider nicht imstande sein. Man hörte ein Klicken, danach eine männliche Stimme, die mich erstarren ließ.
»Ich habe eine großartige Nachricht, Frau Stojanović«, |101| sagte der Doppelgänger von Albert Einstein. »Es ist hier! Diesmal gibt es keinen Zweifel! Sie werden es heute Abend sehen!
Am gewohnten Ort, neun Uhr. Alle werden kommen. Sie sind so aufgeregt. Denken Sie nur, das
letzte Buch
! Endlich! Wir erwarten Sie!« Er hielt einen Moment inne und fügte dann schnell hinzu: »Versuchen Sie nichts selber. Sie wissen
ja, wie gefährlich das ist.«
Als die Verbindung unterbrochen war, klickte es wieder, und dann war alles still. Ich stand mitten im Salon, ein Bein vorgeschoben.
Die Stimme wie auch das, was sie gesagt hatte, war erstaunlich, doch nicht deshalb blieb ich unbeweglich stehen. Zwischen
den Worten, die gesagt worden waren, befand sich eines, das sich von den Übrigen unterschied, so als sei es kursiv geschrieben.
Trotz dieser Offensichtlichkeit erkannte ich es nicht sofort.
Als mir endlich ein Licht aufging, nahm ich rasch das Notizheft und umkringelte sieben Buchstaben. Nichts. Dann weitere sieben.
Und da tauchte plötzlich der Sinn auf. Es war ein Akronym, aber nicht aus den ersten, sondern aus den letzten Buchstaben gebildet.
Hätte Professor Nedeljković dieses Adjektiv nicht benutzt, wäre es mir entgangen, obwohl ich es hätte erraten müssen. Auch
die Bücher waren die Letzten in der Reihe.
Ich probierte es zuerst mit den Titeln, aber ohne Erfolg. Die Botschaft lag in den Buchstaben, auf die die Namen der Autoren
endeten.
Eine ganz kurze Botschaft.
ICH MUSS.
Ich erwachte aus meiner Benommenheit, wandte mich um, ging zum Regal und hockte mich hin. Ich streckte die Hand aus, zog sie
jedoch zurück, ehe ich die Bücher berührte. Aus der Manteltasche nahm ich die Plastikhandschuhe, die mir Fräulein Doktor Vidić
gegeben hatte, und streifte sie über.
Ich wollte das Erste der sieben Bücher herausziehen, und |102| als ich es berührte, merkte ich, dass es ganz locker dastand. Ich überprüfte die vorletzte Reihe und auch noch zwei darüber.
Überall standen die Bücher eng nebeneinander. Es sah aus, als wäre dem auch in der untersten Reihe so, doch der Schein trog.
Ein Buch war hier herausgenommen worden, und die Übrigen waren so zurechtgestellt worden, dass man die Lücke nicht mehr sah.
Ich richtete mich auf und blickte mich im Salon um. Außerhalb des Regals befand sich kein einziges Buch. Gerade wollte ich
auch in den anderen Räumen nachschauen, da klingelte mein Handy in der Tasche.
»Hallo?«
»Doktor Dimitrijević. Würden Sie bitte wieder herkommen? Hauptkommissar Milenković vom Amt für Nationale Sicherheit ist hier.«
|103| 18.
Der Pförtner im Institut für Gerichtsmedizin war nun die Geschäftigkeit in persona. Zweifellos trug die Anwesenheit der zwei
Agenten im Foyer dazu bei. Der Fernseher hinter ihm war ausgeschaltet, und unnötigerweise war er aufgestanden. Geschäftig
schaute er auf meine Dienstmarke, als hätte er sie nicht schon vor einer Stunde gesehen. Schließlich nickte er mir zu. Ich
ging an den Agenten vorbei und machte mich auf den Weg zu Doktor Dimitrijevićs Büro.
Er empfing mich mit den gleichen zweideutigen Worten wie voriges Mal.
»Ach, Sie sind schon da.«
»So schnell ich konnte«, antwortete ich.
Er wies auf den freien der beiden Stühle vor seinem Schreibtisch.
»Bitte sehr. Das ist Hauptkommissar Milenković.«
Wir gaben uns die Hand, ehe ich mich setzte. Hauptkommissar Milenković war ein kleiner, untersetzter Herr in den Fünfzigern
mit Halbglatze. Wäre ich ihm irgendwo anders begegnet, so hätte ich nicht gedacht, dass er im Amt für Nationale Sicherheit
arbeitet. Er wäre mir eher wie ein Friseur oder ein Zahnarzt vorgekommen. Aber was wäre das für eine Geheimpolizei, wenn man
ihre Mitarbeiter leicht erkennen könnte?!
»Die Pathologen der Geheimpolizei sind
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