Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das letzte Buch

Das letzte Buch

Titel: Das letzte Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Zivkovic
Vom Netzwerk:
Passwort wissen? Eiskalte Panik kroch mir den Rücken hinauf. Als ich mich schon damit abgefunden hatte,
     dass mir nichts weiter übrig bliebe, als umzukehren und zum Auto zu eilen, hörte ich mich selber drei Worte sagen.
    »Das letzte Buch . «
    Das Rechteck schloss sich. Einen langen Augenblick tat sich nichts. Dann öffnete sich die Tür.

|141| 25.
    Die Tür ging nur so weit auf, dass ich hindurchkam, und schloss sich sofort hinter mir. Ich befand mich im Dunkeln. Alles,
     was ich sah, waren zwei Reihen kleiner Lämpchen, die wie Lichter am Rand einer Piste den Zugang zu der Villa mitten im Garten
     wiesen.
    Aus dem Dunkel rechts von mir tauchten plötzlich zwei Hände auf, die etwas hielten. Ich musste die Augen anstrengen, um eine
     lange Kutte zu erkennen. Ich zögerte ein wenig, ehe ich dem unsichtbaren Garderobier den Rücken zukehrte. Ich erstarrte, als
     er die Hand auf meine Schulter legte, nachdem ich die Kutte angezogen hatte, doch der Druck dauerte nur so lange, wie er mir
     die Kapuze aufsetzte. Darin verschwand mein Kopf völlig, und mein Gesichtsfeld beschränkte sich nur noch auf den Raum unmittelbar
     vor mir.
    Nachdem er meine Schulter losgelassen hatte, ging ich den Weg weiter. Meine Schuhsohlen rieben sich knarrend an dem feuchten
     Schotter. Während ich vorwärtsging, steigerte sich der unangenehme Eindruck immer mehr, dass ich von durchdringenden Blicken
     begleitet wurde – nicht nur von hinten, sondern von allen Seiten. Unbewusst beschleunigte ich den Schritt.
    Der Weg endete nicht vor der Eingangstür, wie ich es erwartet hatte. Vielmehr gab es Treppen, die nach unten führten. An ihrem
     Ende zeichnete sich eine Lichtöffnung ab, aus deren Innerem ein gedämpfter Schein drang. Vorsichtig begann |142| ich hinabzusteigen, wobei ich mit den Fußsohlen die Treppenkanten ertastete.
    Die Öffnung erwies sich als Anfang eines Ganges, der sanft abfallend unter die Villa führte. Die Kapuze gestattete es mir
     nicht, ihn vollständig zu sehen. Ich hätte sie ein wenig anheben können, aber ich hatte Bedenken und tat es nicht. Auch weiterhin
     spürte ich, dass ich beobachtet wurde, und die Neugierde hätte mich verraten können.
    Nach etwa zwanzig Schritten hielt ich am Ende des Gangs an. Meine Kapuze war immer noch herabgezogen, doch mein Blickfeld
     erweiterte sich bedeutend. Von dem großen runden Raum, den ich erreicht hatte, trennten mich drei Stufen, sodass ich ihn von
     oben sah. Hier war nicht der einzige Eingang. In Abständen von jeweils neunzig Grad mündeten noch drei Gänge.
    Die Beleuchtung war gedämpft. Die vier Lampen, angebracht zwischen den Eingängen, hatten eine Blende vor sich, sodass sie
     nicht zu sehen waren. Noch als ich im Gang war, stieg mir ein Duft in die Nase, den ich nicht erkannte. Er ähnelte Thymian,
     schien aber aromatische Zusätze zu haben. Nun sah ich, woher er rührte. Ein wenig unter den Lichtquellen hingen an einem schwarzen
     Seil Schalen herab, aus denen Rauch emporstieg.
    Der runde Raum war voller Gestalten in Kutten. Es mussten wenigstens fünfzig Versammelte sein. Die meisten Umhänge waren braun
     wie meiner. Diese Einförmigkeit wurde unterbrochen von vier grellroten Kutten, die das leere Zentrum des unterirdischen Amphitheaters
     säumten.
    Am liebsten wäre ich hier oben geblieben, weil ich alles mit einem Blick umfassen konnte, aber das war nicht möglich. Ich
     musste mich recht schnell den anderen zugesellen, um keinen Verdacht zu erregen.
    Ich stieg die drei Stufen hinab, ging ein wenig nach links und stellte mich ganz ans Ende. Hinter meinem Rücken befand |143| sich eine Marmorwand. Keiner der Kapuzenmänner wandte sich zu mir um. Ihre Köpfe waren gesenkt, und die Arme hielten sie über
     der Brust gekreuzt. Ich nahm die gleiche Haltung ein.
    Erst jetzt, aus nächster Nähe, drang an meine Ohren ein Murmeln wie ein Gebet oder ein Mantra. Es war kaum hörbar, sodass
     ich die Worte nicht verstehen konnte. Dieser äußerst gedämpfte Klang wurde noch dreimal durch Schritte von Nachzüglern aus
     den anderen Gängen übertönt, und dann war mehrere Minuten alles still. Ich dachte, es müsste bald neun sein, aber ich schaute
     nicht auf die Armbanduhr, um die Reglosigkeit nicht zu stören, die nun herrschte.
    Unvermittelt wurde die Beleuchtung schwächer. Bald befanden wir uns in vollkommener Dunkelheit. Das Murmeln erstarb. Alles
     versank in Stille. Dann blitzte plötzlich am höchsten Punkt der kuppelartigen Decke ein Scheinwerfer auf.

Weitere Kostenlose Bücher