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Das letzte Buch

Das letzte Buch

Titel: Das letzte Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Zivkovic
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würde, dann müsste sie auch wissen, wenn sie
     nicht mehr unter den Lebenden seien. Umso eher, da Herr Nedeljković schon vor viereinhalb Jahren verstorben sei. Ich drückte
     mein Beileid aus, wofür mir die ältere Frauenstimme dankte und mich in sanftem Ton fragte, ob die Erben den Mixer bekommen
     könnten. Ich versprach, dies nachzuprüfen und sie morgen davon zu unterrichten.
    Bei der zweiten Nummer meldete sich ein Kind. Nein, Papa |135| ist nicht da. Mama auch nicht. Ja, Papa heißt Atanasije. Gut, ich melde mich wieder. Wiederhören.
    Ich hätte die dritte Nummer gar nicht anzurufen brauchen, um zu erfahren, zu wem sie gehörte, doch ich wollte nachprüfen,
     ob er noch zu Hause war. Er meldete sich nach dem dritten Klingeln.
    »Hallo?«, sagte Albert Einstein.
    Ich legte den Hörer auf, schnappte meinen Mantel, verließ rasch das Büro und lief eilig über den Korridor. Zum Glück war die
     Wohnung von Einstein von den dreien die nächstgelegene.

|136| 24.
    Ich parkte das Auto ein Stück von dem Haus entfernt, in dem Professor Nedeljković wohnte. Ich wählte die gegenüberliegende
     Straßenseite, weil ich von da aus eine bessere Sicht auf den Eingang hatte. An dem verregneten Herbstabend gab es keine Fußgänger
     und fast keinen Verkehr. Vor mir erstreckte sich ein Spalier einzelner Lampen und Kastanienbäume, deren kahle Zweige wirkten
     wie Arme, die sich in der Dunkelheit nach etwas ausstrecken.
    Der Regen bereitete mir Schwierigkeiten. Ich konnte nicht ständig die Scheibenwischer eingeschaltet lassen, und der Wasserschleier,
     der die Windschutzscheibe hinablief, trübte und verzerrte meine Sicht. Es konnte sogar passieren, dass jemand aus dem Haus
     kam und ich es nicht bemerkte. Mir blieb nichts weiter übrig, als in Abständen kurz die Scheibenwischer einzuschalten. Dann
     wurde die Welt klar, aber nicht für lange.
    Es wäre mir auch angenehmer gewesen, wenn die Heizung im Auto gelaufen wäre. Während der kurzen Fahrt hatte sich das Auto
     nicht genügend erwärmen können, sodass sich die Temperatur darin bald kaum mehr von der Außentemperatur unterschied. Ich stellte
     meinen Kragen auf und zog den Mantel enger um mich, als könnte mir davon wärmer werden.
    Ich hoffte, dass mein jäh unterbrochener Anruf den Professor nicht beunruhigt und veranlasst hatte hinauszugehen, bevor ich
     eingetroffen war. Ebenfalls hoffte ich, dass er keinen |137| Grund sah, einen Nebenausgang zu benutzen. Dann wäre mir jede Gelegenheit genommen worden, mich in weniger als einer Stunde
     an dem Ort der geheimnisvollen Versammlung einzufinden.
    Die Minuten zogen sich träge dahin. Nichts geschah. Solche sinnlose Zeitvergeudung mochte ich in meinem Beruf als Polizist
     seit jeher nicht, obwohl ich wusste, dass sie nötig und nicht zu vermeiden war. Hätte ich die Wartezeit zumindest mit Lesen
     verkürzen können – aber das kam natürlich nicht in Frage. Nicht nur, weil im Auto kein Licht brannte. Es wäre vielmehr, hätte
     ich mich in ein Buch vertieft, meine Aufmerksamkeit davon abgelenkt worden, weshalb ich hier war.
    Die gedämpften blauen Ziffern auf der Digitaluhr über dem Tachometer zeigten an, dass noch drei Minuten bis halb neun fehlten,
     als im Rückspiegel Scheinwerfer aufleuchteten. Es war der vierte Wagen, der erschien, seit ich in dieser schwach frequentierten
     Straße parkte, aber im Unterschied zu den drei vorigen Autos fuhr er nicht einfach vorbei. Er kam langsam näher, der Motor
     war kaum zu hören. Ich sank tiefer in den Sitz.
    Der Wagen hielt direkt vor meinem. Ohne die Scheibenwischer zu betätigen, konnte ich nicht gut sehen, ob außer dem Fahrer
     noch jemand darin saß. Mir schien, als wäre auch der Beifahrersitz besetzt, aber ich war nicht sicher. Das Auto hielt etwa
     anderthalb Minuten. Niemand stieg aus, und niemand kam, um einzusteigen. Langsam, wie es sich genähert hatte, setzte es seine
     Fahrt fort und bog schließlich nach rechts in den Boulevard ab.
    Dafür konnte es eine einfache Erklärung geben. Sagen wir, es war ein junges Pärchen, das kurz in einer Seitenstraße angehalten
     hatte, um Zärtlichkeiten auszutauschen. Aber das Auto konnte ebenso gut der Geheimpolizei gehören. Wie waren sie hierhergekommen?
     Sie hatten gesehen, wen ich in Petronijevićs |138| Computer gesucht hatte. Mein Vorhaben war ihnen nicht gleich klar gewesen, aber schließlich hatten sie es begriffen. Es gibt
     bei der Geheimpolizei ziemlich clevere Leute.
    Aber vielleicht waren sie mir

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