Das letzte Buch
hatte, drehte sie sich zu mir um und winkte. Ich erwiderte ihren Gruß, indem ich das Fernlicht
kurz einschaltete, dann fuhr ich davon.
Die Etage, in der sich mein Büro befand, sah am Sonntagabend gespenstisch leer aus. Die diensthabenden Polizisten waren im
Erdgeschoss. Ich machte kein Licht an, als ich hineinging. Obwohl es dunkel war, drang genügend Licht von draußen herein,
sodass ich die Umrisse der Einrichtungsgegenstände erkennen konnte. Ich hängte den Mantel an den Haken, setzte mich an meinen
Tisch und schaltete den Computer ein.
Zuerst musste ich etwas nachprüfen. Ich gab das Kennwort ein und fand die Datei, an der ich am Abend zuvor gearbeitet hatte.
Seit dem letzten Öffnen hätten etwa vierundzwanzig Stunden vergangen sein müssen. Aber, wie vermutet – dem war nicht so! Jemand
hatte elf Minuten nach Mitternacht die Datei mit der Liste der roten Buchtitel und mit Veras Adresse geöffnet. Jemand, für
den das Kennwort kein Hindernis war. Jemand, der überall Zugang hatte. Ich musste mich nicht erst davon überzeugen, dass auch
die Datei mit den Fotos vom |133| Regal in der Buchhandlung sowie mein gesamtes Archiv gesichert worden waren.
Ich schaltete den Computer aus. Eine Zeit lang saß ich da wie angegossen und trommelte nur mit den Fingern auf die Tischplatte.
In mir kochte die Wut, aber nicht so sehr wegen des Eindringens in meinen geschützten Raum. Lange genug arbeite ich bei der
Polizei, um zu wissen, dass das Kennwort nur ein vager Schutz ist. Zorn erfüllte mich deshalb, weil ich nicht mehr ohne Aufsicht
das tun konnte, weshalb ich gekommen war. Sie würden alles verfolgen, was ich am Computer tat, so als stünden sie hinter meinem
Rücken.
Hätte ich nicht hinter meinem Monitor einen zweiten gesehen, dann wäre ich womöglich nicht so schnell auf eine Idee gekommen.
Rasch setzte ich mich auf den Stuhl des Kollegen Petronijević und schaltete seinen Computer ein. Ich hatte gedacht, größere
Gewissensbisse zu haben, aber ich spürte sie kaum. Die Spielregeln, die mir aufgezwungen wurden, ließen mir keinen Raum –
das Gewissen war da ein Luxus. Im Übrigen wollte ich die fremde Privatsphäre auch überhaupt nicht gefährden. Sie interessierte
mich gar nicht. Ich wollte den Computer nur benutzen, um an die Datenbank der Polizei zu gelangen.
Ja, aber im Gegensatz zu denen, die ich überlisten wollte, war ich nicht allmächtig. Für mich gab es Hindernisse. Wie vernagelt
starrte ich auf den flimmernden Cursor am Anfang der Zeile, in die ich das Kennwort eintragen sollte.
Ich begann fieberhaft nachzudenken. Es dauerte etwa zwanzig Sekunden, bis mir etwas einfiel. Die Lösung schien beinahe zu
einfach, doch vielleicht war sie gerade deshalb richtig. Während ich mit dem rechten Zeigefinger über die Tastatur flog, reihten
sich auf dem Monitor Sternchen aneinander. Ich drückte auf »Enter« – und jauchzte auf. Ja, natürlich!
Menschen sind normalerweise berechenbar, und Polizisten |134| sind dabei keine Ausnahme. Ganz im Gegenteil! Was hätte Petronijević als Kennwort anderes eingeben sollen als den Namen seiner
geliebten Boulevardzeitung?!
Während ich die Datenbank öffnete, überkam mich einen Augenblick lang eine irre Angst. Und was wäre, wenn nicht nur mein Computer
überprüft würde?! Aber ich musste das Risiko eingehen. Wenn ich die Sache ganz ungefährlich machen wollte, müsste ich an einen
anderen Ort gehen, außerhalb dieses Gebäudes, aber dafür war keine Zeit mehr. Schließlich, selbst wenn sie verfolgten, was
ich tat, würden sie mein Vorhaben nicht so leicht verstehen.
Ich tippte »Atanasije Nedeljković« ein. Der Nachname war ziemlich häufig, nicht aber der Vorname, das gab mir die Hoffnung,
es würden nicht viele Leute in Frage kommen. Und tatsächlich, das Verzeichnis enthielt nur drei derlei Eintragungen. Ich zog
mein Notizbuch hervor, schrieb Adressen und Telefonnummern ab und schaltete den Computer aus.
Doch ich ging nicht sofort zu meinem Stuhl zurück. Es wäre sicherer, wenn ich auch Petronijevićs Telefon benutzte. Dabei kam
das Gewissensproblem erst gar nicht auf.
Bei der ersten Nummer fragten sie mich argwöhnisch, weshalb ich Herrn Nedeljković sprechen möchte. Ich sagte, er hätte einen
Mixer gewonnen bei einem Gewinnspiel, das die Telefongesellschaft für ihre treuen Abonnenten veranstaltet habe. Mir wurde
geantwortet, wenn sich die Gesellschaft tatsächlich um ihre Abonnenten kümmern
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