Das letzte Buch
von mir.«
Sie sah mich kurz an, dann nickte sie wortlos und folgte den Sanitätern.
Ich ging auf den Verkaufstisch mit der Kasse zu. Fräulein Gavrilović stand dort mit einer Frau, die jünger als sie sein musste,
obwohl sie älter wirkte. Wohl deshalb, weil alles an ihr klassisch war, die Frisur, die Art der Kleidung und die Haltung.
Sie hatte kurzes, glattes schwarzes Haar, schmale Lippen und eine riesige Brille. Sie trug ein dunkles Dienstkostüm und flache
Schuhe, keinen Schmuck. Im Unterschied zu der Ärztin schien sie überhaupt keine Schminke zu benutzen. Auch dieses Extrem gefiel
mir nicht.
»Kommissar Lukić«, sagte Fräulein Gavrilović, »ich möchte Ihnen Fräulein Olga Bogdanović vorstellen. Wir sind beide Inhaberinnen
des ›Papyrus‹.«
»Angenehm«, sagte Fräulein Bogdanović mit dem Anflug eines Lächelns, das ihren seriösen Gesichtsausdruck nicht wesentlich
änderte. Ihr Händedruck war lasch. »Vera hat mir von Ihnen erzählt. Sie ist begeistert von Ihrem Hang zur Literatur. |27| Aber als Polizist haben Sie versagt. Sie haben ihr versichert, in unserer Buchhandlung werde es keine Toten mehr geben.«
»Ich habe mich getäuscht. Anscheinend ist Ihr Laden keine typische Buchhandlung.«
»Das stimmt wohl. Aber es wäre nicht gut, wenn er nur der Toten wegen untypisch werden würde.«
»Auch Tote können von Nutzen sein. Man könnte sagen, sie bringen mehr Publikum ins Haus.«
»Haben alle Kommissare so einen morbiden Sinn für Humor?«
»Nicht alle. Nur solche, die der Literatur nahestehen.«
»Olga, ich bitte dich«, mischte sich Fräulein Gavrilović ein, »Kommissar Lukić ist nicht schuld an dem, was hier passiert
ist. Er versucht, uns zu helfen.«
»Ich hoffe, damit sind nun Ihre Schwierigkeiten beendet. Erzählen Sie mir bitte, was geschehen ist.«
Sie schob mit dem Mittelfinger die Brille hoch bis an die Nasenwurzel.
»Die Frau war die erste Kundin, als ich um zehn Uhr geöffnet habe. Vormittags ist es hier nie voll, vor allem nicht bei so
einem Regen.«
»Haben Sie sie schon jemals gesehen?«
»Ich denke, ja, aber nicht oft.«
»Ist noch jemand nach ihr hereingekommen?«
»Nein, erst die Rettungsleute. Besser, Sie heben Ihre Fragen für später auf, wenn ich Ihnen gesagt habe, was ich weiß. Diese
Unterbrechungen stören mich.«
»Natürlich. Entschuldigen Sie.«
»Sie hat sich eine Weile im Regal umgesehen, dann hat sie ein Buch genommen und sich dorthin gesetzt.«
Sie zeigte auf den Sessel rechts von der Kasse.
»Darin ist auch der Herr vorgestern Abend gestorben«, sagte Fräulein Gavrilović.
|28| »So ist es. Hätte sie das gewusst, dann hätte sie sicherlich einen anderen Sessel gewählt.«
»Vielleicht war sie nicht abergläubisch«, murmelte ich.
»Bitte?«, fragte Fräulein Bogdanović. Sie brauchte nicht erst ihre Stirn zu runzeln, um streng auszusehen.
»Nichts. Fahren Sie bitte fort.«
»Sie vertiefte sich ins Lesen, und ich hatte an der Kasse zu tun. Freitags haben wir am meisten mit der Buchhaltung zu tun.
Es sind vielleicht zehn Minuten vergangen, bis ich wieder in ihre Richtung blickte. Mir war sofort klar, dass sie tot ist.«
»Haben Sie Erfahrung damit, zu beurteilen, ob jemand tot ist?«
»Dazu braucht man keine Erfahrung, wenn man sieht, der Kopf ist zurückgeworfen, der Mund ist offen und die Augen starren reglos
zur Decke. Ein schrecklicher Anblick! Mir ist es kalt über den Rücken gelaufen!«
»Haben Sie keinen Laut gehört?«
»Hätte ich das sollen?«
»Ein Infarkt wird meist von einem Röcheln begleitet. Und das hört man.«
»Vielleicht ist die Arme nicht an einem Infarkt gestorben.«
»Die Ärztin meint das.«
»Aber Sie haben daran gezweifelt.«
»Wie könnte ein gewöhnlicher Kommissar am Befund eines Spezialisten zweifeln?!«
Fräulein Gavrilović verhinderte wiederum, dass zwischen uns ein Streit entbrannte.
»Herr Kommissar, ich habe gestern vergessen, Sie zu fragen, ob es bestätigt wurde, dass auch der Herr an einem Herzinfarkt
gestorben ist.«
»Todorović. Predrag Todorović. Ein pensionierter Klavierlehrer.«
»So sah er irgendwie auch aus.«
|29| »Ich habe noch keinen Bericht von den Pathologen bekommen.« Das war nur teilweise gelogen. Streng gesagt, war das Telefongespräch
nicht offiziell gewesen, und etwas Schriftliches hatte ich noch nicht erhalten. »Sie sind bekanntermaßen langsamer, wenn kein
Verbrechen vorliegt. Man muss sie verstehen. Sie haben sehr viel zu
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