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Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen

Titel: Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter S. Beagle
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Auge?« Seine Stimme löste sich auf in ein Gefauche aus Wut und Schmerz.
    »Nur zu!«, sagte der Schädel. »Schrei, weck den alten Haggard ruhig auf!« Seine Stimme klang wie krachende Äste, die der Wind gegeneinanderschlägt. »Schrei noch lauter. Der alte Knabe ist wahrscheinlich sowieso in der Nähe. Er schläft nicht viel.«
    Molly stieß einen leisen, entzückten Schrei aus, und selbst die Lady Amalthea kam einen Schritt näher. Schmendrick stand mit geballten Fäusten da, auf seinem Gesicht zeigte sich kein Triumph. Der Schädel sagte: »Auf, frag mich, wie man den Roten Stier findet. Du tätest gut daran, meinen Rat einzuholen. Ich bin des Königs Aufseher, eingesetzt, den Weg zum Roten Stier zu bewachen. Nicht einmal Prinz Lír kennt den geheimen Gang, doch ich kenne ihn.«
    Furchtsam fragte Molly: »Wenn du wirklich hier auf Wache stehst, warum schlägst du dann nicht Alarm? Weshalb bietest du uns deine Hilfe an, anstatt die anderen Wächter herbeizurufen?«
    Der Schädel lachte klappernd. »Ich hänge schon sehr lange an dieser Säule. Ich bin Haggards Hauptmann gewesen, bis er mir eines Tages grundlos den Kopf abschlagen ließ. Das war zu der Zeit, als er Böses tat, um herauszufinden, ob es wirklich das wäre, was er gern tun würde. Nun, das war es nicht; er aber dachte, man könnte aus meinem Kopf genauso gut einen Nutzen ziehen, also hat er ihn hier hingehängt, und ich muss ihm jetzt als Wächter dienen. Unter diesen Umständen bin ich König Haggard nicht ganz so treu ergeben, wie ich es sein könnte.«
    Leise sagte Schmendrick: »Dann löse das Rätsel. Zeig uns den Weg zum Roten Stier.«
    »Nein«, erwiderte der Schädel. Dann lachte er wie verrückt.
    »Warum denn nicht?«, schrie Molly zornig. »Was für ein Spiel…?« Die langen, gelben Kiefer bewegten sich um keinen Deut, doch dauerte es einige Zeit, bis das hässliche Gelächter verschepperte. Sogar das huschende Nachtgetier stand still, verharrte gebannt in seinem zuckrigen Licht, bis das Lachen verstummte.
    »Ich bin tot«, sprach der Schädel, »ich bin tot und hänge hier in Finsternis, um Haggards Besitz zu bewachen. Das einzige kleine Vergnügen, das ich noch habe, ist es, die Lebenden zu ärgern und zu triezen, und dazu habe ich nicht sehr oft Gelegenheit. Höchst bedauerlich, denn im Leben war ich ein Charakter, für den es nichts Schöneres gab, als anderen Ärger zu bereiten. Ihr werdet mir bestimmt verzeihen, wenn ich mit euch ein wenig meine Possen treibe. Versucht es morgen wieder. Vielleicht verrate ich es euch dann.«
    »Aber wir haben doch keine Zeit!«, flehte Molly. Schmendrick stieß sie in die Rippen, doch sie sprach hastig weiter, trat dicht an den Schädel heran, wandte sich direkt an seine leeren Augenhöhlen. »Wir haben keine Zeit. Wir sind womöglich jetzt schon zu spät dran!«
    »Ich habe Zeit«, erwiderte der Schädel nachdenklich. »Es ist wahrlich nicht gut, Zeit zu haben. Eile, Hast, Verzweiflung, dies versäumt und jenes vergessen, alles außer Rand und Band – so muss das Leben sein! Manchmal muss man einfach zu spät kommen. Macht euch deswegen keine Sorgen.«
    Molly hätte weitergebettelt, doch der Zauberer packte ihren Arm und zog sie beiseite. »Still!«, fuhr er sie rasch und zornig an. »Kein Wort mehr! Das verfluchte Ding hat gesprochen, oder nicht? Mag sein, das ist alles, was zu des Rätsels Lösung erforderlich ist.«
    »Nein, das ist es nicht«, unterrichtete ihn der Schädel. »Ich werde reden, soviel du willst, aber ich werde dir nichts sagen. Das ist recht niederträchtig, nicht? Du hättest mich erst sehen sollen, als ich noch am Leben war!«
    Schmendrick schenkte ihm keine Aufmerksamkeit. »Wo ist der Wein?«, wollte er von Molly wissen. »Ich will sehen, was ich mit dem Wein anfangen kann.«
    »Ich konnte keinen finden«, antwortete sie nervös. »Ich habe alles durchsucht, doch im ganzen Schloss gibt es keinen einzigen Tropfen.« Der Zauberer blickte sie lange schweigend an. »Ich hab getan, was ich konnte«, sagte sie.
    Schmendrick hob langsam beide Hände und ließ sie dann wieder fallen. »Das wär’s dann. Wenn wir keinen Wein haben, ist alles aus. Ich bin zwar ein Zauberer, doch aus Luft kann ich keinen Wein machen!«
    Der Schädel kicherte knirschend und klappernd. »Materie kann weder erschaffen noch zerstört werden! Wenigstens nicht von den meisten Magiern.«
    Molly zog aus einer Rockfalte ein Fläschchen hervor, das in der Dunkelheit schwach glänzte. Sie sagte: »Ich dachte,

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