Das letzte Einhorn
Tal saßen an einem Bach ein Prinz und eine Prinzessin. Ihre sieben Diener hatten einen scharlachroten Baldachin unter einem Baum aufgeschlagen, und das königliche junge Paar aß zur Begleitung von Lauten und Theorben den Imbiss, den es mitgebracht hatte. Sie sprachen kaum ein Wort miteinander, bis das Mahl vorüber war. Dann seufzte die Prinzessin und sagte: »Am besten bringen wir diese dumme Sache schnell hinter uns.« Der Prinz schlug ein Journal auf.
»Du könntest wenigstens …«, sagte die Prinzessin, doch der Prinz las ungerührt weiter. Sie gab zwei Dienern ein Zeichen, wonach diese auf ihren Lauten eine alte Weise spielten. Die Prinzessin machte auf der Wiese ein paar Tanzschritte, hielt einen buttergelben Zaum in die Höhe und rief: »Hierher, Einhorn, hierher! Komm, meine Süße, komm zu mir! Komm, luckluckluck!«
Der Prinz lachte. »Rufst du Hühnern?« fragte er, –,ohne aufzublicken. »Willst du nicht singen, anstatt wie eine Gluckhenne zu gackern?«
»Ich tu mein Bestes«, rief die Prinzessin. »Ich habe noch nie so einem Ding gerufen!« Nach kurzer Zeit jedoch fing sie zu singen an:
Ich bin eine Königstochter,
und meine Wünsche werden wahr;
wollt’ ich’s, so flög’ zum Schmuck mir
der Mond noch heut ins Haar.
Wonach mein Sinn mich plagt,
nie gab es ein Gelüste,
das lang mir blieb versagt.
Ich bin eine Königstochter
und werde grau und alt,
gefangen nicht im Kerker,
im Turm der eigenen Gestalt!
Noch heut ließ’ alles Gut ich fahren,
zög’ bettelnd über Land und Meer,
um deinen Schatten zu erblicken,
ein einzig’ Mal und nimmermehr!
Sie sang das ganze Lied noch einmal, dann rief sie: »Liebes Einhorn, gutes Einhorn, du gutesgutesgutes!« Und dann sagte sie voller Zorn: »Ich hab’ genug! Ich geh’ jetzt nach Hause!«
Der Prinz gähnte und schloss sein Journal. »Du hast dem Brauch Genüge getan, und niemand hat mehr von dir erwartet. Es war nur eine Formalität. Jetzt können wir heiraten.«
»Ja«, sagte die Prinzessin, »jetzt können wir heiraten.« Die Diener packten alles wieder ein, und die beiden Musikanten spielten auf ihren Lauten lustige Hochzeitsmusik. Die Stimme der Prinzessin klang ein wenig traurig und trotzig, als sie sagte: »Wenn es wirklich so etwas wie Einhörner gäbe, hätte eines zu mir kommen müssen. Ich habe so lieblich gerufen, wie man das überhaupt nur kann, und ich habe den goldenen Zaum gehabt. Und selbstverständlich bin ich rein und unberührt.«
»Was mich angeht, ja«, versetzte der Prinz gleichgültig. »Wie ich schon sagte, hast du dem Brauch Genüge getan. Meinem Vater tust du nicht Genüge, so wenig wie ich. Dafür brauchte es ein Einhorn.« Er war groß und stattlich, und sein Gesicht so hübsch und sanft wie ein Pfirsich.
Als sie und ihr Gefolge fort waren, trat das Einhorn aus dem Wald; Molly und der Zauberer folgten ihm, und sie setzten ihre Wanderung fort. Lange danach, während sie gerade durch ein Land zogen, in dem es weder Bach noch Baum gab, fragte Molly das Einhorn, warum es dem Lied der Prinzessin nicht gefolgt sei. Schmendrick schob sich etwas näher heran, blieb jedoch auf seiner Seite des Einhorns; er ging nie auf Mollys Seite.
Das Einhorn erwiderte: »Die Königstochter hätte niemals alles aufgegeben, um meinen Schatten zu sehen. Hätte sie mich gesehen und mich erkannt, wäre sie vor mir mehr als vor einem Drachen erschrocken, denn einem Drachen macht niemand Versprechungen. Ich erinnere mich an eine Zeit, als es mir gleichgültig war, ob die Prinzessinnen glaubten, was sie sangen oder nicht. Ich bin zu allen hingegangen und habe meinen Kopf in ihren Schoß gelegt, und einige sind sogar auf mir geritten, die meisten jedoch hatten Angst davor. Aber jetzt habe ich keine Zeit mehr für sie, weder für Küchenmädchen noch für Königstöchter. Ich habe keine Zeit.«
Da sagte Molly etwas, das seltsam klang aus dem Munde einer Frau, die jede Nacht des öfteren erwachte und nachsah, ob das Einhorn noch da war, einer Frau, deren Träume alle von goldenen Zäumen und sanften jungen Dieben handelten. »Die Prinzessinnen haben keine Zeit. Der Himmel zieht und wirbelt alles mit sich fort, Prinzessinnen und Zauberer, den armen Cully und die ganze Welt, du aber stehst still. Nichts gibt es, was du nur einmal siehst. Ich wünschte, du wärest für kurze Zeit eine Blume, oder eine Ente. Etwas, das nicht warten kann.«
Hierauf sang Molly eine Strophe aus einem traurigen, holpernden Lied, wobei sie nach
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