Das letzte Einhorn
Nägel hinein, so fest sie nur konnte.
»Du kannst zaubern!« sagte sie, und hörte ihre eigene Stimme so tief und klar wie die einer Sibylle. »Mag sein, du kannst diesen Zauber nicht finden, doch er ist vorhanden. Du hast Robin Hood gerufen, obwohl es gar keinen Robin Hood gibt; er ist gekommen und war Wirklichkeit. Und das ist Magie! Du hast alle Macht, die du brauchst, wenn du nur wagst, sie zu suchen.«
Schmendrick sah sie wortlos an, starrte sie an, als wollten seine grünen Augen die Suche nach seiner magischen Macht in Mollys Augen beginnen. Der Rote Stier machte einen zierlichen Schritt auf das Einhorn zu, nicht mehr als Jäger, sondern ihm mit dem Gewicht seiner Erscheinung gebietend. Gehorsam, gefügig ging es ihm voran-, er folgte wie ein Schäferhund, lenkte es in die Richtung von König Haggards gezacktem Schloss, dem Meer entgegen.
»Bitte«, sagte Molly, deren Stimme zerbröckelte, »bitte, das ist ungerecht, es darf nicht geschehen. Er wird es zu Haggard treiben, und niemand wird es je wieder sehen. o bitte, du bist ein Magier, du darfst es nicht zulassen!« Ihre Finger gruben sich noch tiefer in Schmendricks Arm. »Tu etwas«, weinte sie, »verbiet’ es ihm!« Vergeblich suchte Schmendrick ihre zusammengepressten Finger aufzubiegen. »Ich werde überhaupt nichts tun, bevor du meinen Arm loslässt«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen.
»Oh«, rief Molly, »es tut mir leid, verzeih!«
»Man kann einem so das Blut abstellen«, sagte der Zauberer vorwurfsvoll. Er rieb seinen Arm, trat einige Schritte vor und stellte sich dem Stier in den Weg. Mit vor der Brust gekreuzten Armen und hoch erhobenem Kopf stand er da, hin und wieder nickte er vor Erschöpfung. »Vielleicht dieses Mal«, hörte Molly ihn murmeln, »vielleicht dieses Mal. Nikos sagte, was war es nur, was er gesagt hat? Es fällt mir nicht mehr ein. Es ist schon so lange her.« In seiner Stimme lag ein seltsamer, alter Gram, wie ihn Molly nie zuvor vernommen hatte. Dann züngelte Fröhlichkeit in ihm empor, und er sagte: »Wer weiß, wer weiß! Wenn dies nicht der richtige Augenblick ist, dann kann ich ihn vielleicht dazu machen! Soviel Trost bleibt dir, Freund Schmendrick: Ausnahmsweise kannst du die Dinge nicht noch schlimmer machen, als sie es schon sind.« Er lachte leise vor sich hin.
Der blinde Stier bemerkte die große Gestalt in seinem Weg erst, als er unmittelbar vor ihr stand. Er verhielt und schnüffelte, in seiner Kehle grollte Sturm, doch in dem Pendeln seines Hauptes lag eine gewisse Verwirrung. Das Einhorn blieb stehen, als der Stier stehenblieb. Schmendrick schmerzte es, wie gefügig das Einhorn geworden war. »Lauf«, rief er ihm zu, »lauf zu!« Aber es sah ihn nicht einmal an, weder ihn noch den Stier, noch irgend etwas anderes; es blickte starr zu Boden. Beim Klang von Schmendricks Stimme wurde das Grollen des Stieres lauter und bedrohlicher. Es schien ihm daran zu liegen, zusammen mit dem Einhorn aus dem Tal herauszukommen, und der Zauberer glaubte den Grund dafür zu kennen. Über der blendenden Helle des Roten Stieres sah er zwei oder drei verblassende Sterne und die Andeutung eines wärmeren Lichtes; der Morgen nahte. »Tageslicht behagt ihm nicht«, murmelte Schmendrick. »Das zu wissen, ist viel wert.« Noch einmal rief er dem Einhorn zu, es solle fliehen, doch die einzige Antwort war ein Brüllen, das wie Trommelwirbel klang. Das Einhorn stürzte vorwärts, Schmendrick musste beiseite springen, sonst hätte es ihn umgerannt. Der Stier folgte dichtauf, trieb es eilig voran, wie der Wind dünne Nebelfetzen vor sich hertreibt. So gewaltig war sein Gang, dass es Schmendrick hob und beiseite schleuderte. Er überschlug sich mehrmals, um nicht zertrampelt zu werden; seine Augen waren blind von der Erschütterung, und in seinem Kopf loderten Flammen. Er meinte Molly Grue schreien zu hören.
Er stützte sich mühsam auf ein Knie, und sah, dass der Rote Stier das Einhorn fast bis zum Waldrand getrieben hatte. Wenn es doch nur noch ein einziges Mal zu fliehen versucht hätte – doch es gehörte jetzt dem Stier, und nicht mehr sich selber. Der Zauberer erhaschte noch einen Blick von ihm, wie es bleich und verloren zwischen den fahlen Hörnern stand, dann nahmen ihn die blutroten, drohenden Schultern die Sicht. Schwankend, erschöpft und geschlagen schloss er die Augen, öffnete der Hoffnungslosigkeit Tür und Tor, bis irgendwo in ihm etwas erwachte, das schon einmal in ihm erwacht war. Er schrie laut auf, schrie
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