Das letzte Einhorn
vor Furcht und Freude. Was für Worte der Zauber dieses Mal sprach, konnte er auch später nicht mit Gewissheit sagen. Wie Adler flogen sie von ihm auf, und er ließ sie ziehen; und wie das letzte davon war, da stürzte die Leere- mit einem Donnerkrachen in ihn zurück, dass es ihn aufs Gesicht warf. Das alles geschah in einem einzigen Augenblick. Dieses Mal wusste er, bevor er sich erhob, dass die Zaubermacht gekommen und wieder gegangen war.
Dort vorne stand der Stier und beschnüffelte etwas am Boden. Das Einhorn war nicht zu sehen. Schmendrick lief hin, so rasch er nur konnte, doch Molly war zuerst nah genug, um zu sehen, was der Stier beschnupperte. Sie steckte wie ein Kind ihre Finger in den Mund.
Zu Füßen des Roten Stieres lag ein junges Mädchen, hingegossen in ein Häufchen aus Schatten und Licht. Es war nackt, und seine Haut glänzte wie Schnee im Mondlicht. Feines, verworrenes Haar, weiß wie ein Wasserfall, floss fast bis zur Mitte seines Rückens. Das Gesicht lag in den Armen verborgen.
»Ach, ach, was hast du getan!« klagte Molly. Keiner Gefahr achtend, rannte sie zu dem Mädchen und kniete neben ihm nieder. Der Stier hob sein riesiges, blindes Haupt und schwenkte es langsam in Schmendricks Richtung. Mit dem Hellerwerden des Himmels schien er zu schrumpfen und zu verblassen, doch gloste er noch immer heilrot wie flüssige Lava. Der Zauberer fragte sich, was seine wirkliche Größe und Farbe sein mochten, wenn er allein war.
Noch einmal schnüffelte der Stier an der reglosen Gestalt, schüttelte sie mit seinem eisigen Atem, dann lief er in drei gewaltigen Sprüngen zum Wald hinüber und entschwand lautlos ihrer Sicht. Schmendrick sah ihn noch einmal, als er den Talrand erreichte: ein formloses, wirbelndes Dunkel, das rote, kreisende Dunkel, das man sieht, wenn man die Augen vor Schmerzen schließt. Die Hörner waren zu den beiden spitzesten Türmen von König Haggards verrücktem Schloss geworden. Molly Grue hatte den Kopf des weißen Mädchens in ihren Schoß gebettet und flüsterte ununterbrochen: »Was hast du nur angerichtet!« Das Gesicht des Mädchens, schlafruhig und mit dem Anflug eines Lächelns, war das Schönste, was Schmendrick je gesehen hatte. Es schmerzte und wärmte ihn zur gleichen Zeit. Molly glättete das seltsame Haar; Schmendrick sah auf der Stirn des Mädchens, genau in der Mitte, ein kleines, erhabenes Mal, dunkler als die übrige Haut. Es war weder eine Narbe noch eine Beule. Es sah aus wie eine Blume. »Was soll das heißen: ›Was hast du nur angerichtet(?«, wollte er von der stöhnenden Molly wissen. »Es mit Magie vor dem Stier gerettet, das habe ich angerichtet! Mit Magie, Weib, mit meiner eigenen, wahrhaftigen Magie!« Er war außer sich vor Entzücken, wollte tanzen und zur gleichen Zeit still stehn; es schüttelte ihn vor Begier, seine Freude hinauszuschreien, Reden zu halten, doch gab es nichts, was er hätte sagen wollen. Schließlich lachte er töricht, umarmte sich selbst, bis ihm die Luft ausging und seine Beine unter ihm nachgaben; dann streckte er sich an Mollys Seite aus.
»Gib mit deinen Mantel«, sagte Molly. Er strahlte sie an, blinzelte verständnislos. Sie zerrte den zerrissenen Mantel unsanft von seinen Schultern, wickelte ihn um das schlafende Mädchen, so gut das mit diesem Fetzen eben ging. Das Mädchen schimmerte hindurch wie die Sonne durch Blätter.
»Du wirst dich vielleicht fragen, wie ich ihm seine ursprüngliche Gestalt wiedergeben werde«, sagte Schmendrick versöhnlich. »Sorge dich nicht. Die Magie wird zu mir kommen, wenn ich sie brauche, soviel weiß ich jetzt. Eines Tages wird sie kommen, wenn ich sie rufe, aber, aber so weit ist es noch nicht.« Stürmisch umschlang er Molly, schloss ihren Kopf in seine langen Arme. »Du hast recht gehabt!«, rief er. »Du hast recht gehabt! Sie ist da, und sie gehört mir!« Molly machte sich von ihm frei, mit einer geröteten Wange und zwei gequetschten Ohren. Das Mädchen in ihrem Schoß seufzte, hörte auf zu lächeln und wandte sein Gesicht von der aufgehenden Sonne ab. Molly sagte: »Schmendrick, armer Schmendrick, du Magier, siehst du nicht …«
»Was? Es gibt nichts zu sehen!« Doch seine Stimme klang unvermittelt hart und wachsam, ein Anflug von Furcht überzog seine grünen Augen. »Der Rote Stier jagte hinter einem Einhorn her, also musste es etwas anderes werden. Du hast mich angefleht, es zu verwandeln. Was, zum Teufel, passt dir jetzt nicht?«
Molly wackelte mit dem Kopf wie eine
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