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Das letzte Einhorn

Das letzte Einhorn

Titel: Das letzte Einhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter S. Beagle
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hineingebohrt hatten, und noch mehr als die Rückkehr des Einhorns wünschte sie, dass sie nicht nach ihm gerufen hätten.
    Prinz Lir sagte: »Sobald ich sie sah, wusste ich, dass ich tot gewesen war, genau wie damals, als ich sie vom Turme meines Vaters aus erblickte.« Er sah hinauf und seufzte. Dies war der einzige Laut der Klage um König Haggard, den irgend ein lebendes Wesen je von sich gab.
    »Bin ich das gewesen?« flüsterte er. »Der Fluch besagte doch, dass ich es ein würde, der das Schloss zum Einsturz bringt; doch ich hätte es nie getan! Er war nicht gut zu mir, aber nur, weil ich nicht war, was er sich wünschte. Ist es wirklich durch mich gefallen?«
    Schmendrick gab ihm Antwort. »Hättest du nicht versucht, das Einhorn zu retten, hätte es sich nie dem Roten Stier gestellt und ihn ins Meer getrieben. Der Stier hat das Meer zum Überlaufen gebracht und so die Einhörner befreit, und diese haben das Schloss zerstört. Jetzt, da du dies weißt – würdest du anders handeln?«
    Prinz Lir schüttelte den Kopf, sagte aber nichts. Molly dagegen fragte: »Aber warum lief der Stier vor dem Einhorn davon? Weshalb stellte er sich nicht zum Kampf?« Als sie aufs Meer hinausblickten, war er spurlos verschwunden, obgleich er zu ungeheuer war, um in so kurzer Zeit ihrer Sicht zu entschwinden. Doch ob er an einer anderen Küste dem Wasser entstieg, oder ob die Fluten schließlich selbst seine Körpermassen hinabzogen, das erfuhren sie erst lange, lange danach. Und in diesem Königreich ward er nie wieder gesehen.
    »Der Rote Stier kämpft nie«, sagte Schmendrick. »Er unterwirft, aber er kämpft nicht.«
    Er wandte sich Prinz Lir zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Du bist jetzt König.« Auch Molly berührte er, und dann sprach er ein Wort, mehr ein Pfeifen als ein Wort, und alle drei schwebten wie Wolfsmilchdolden hinauf zum Kamm des Kliffs. Molly empfand nicht die geringste Angst, der Zauber hob sie, als wäre sie eine von ihm gesungene Note. Sie fühlte, dass es nie sehr weit war bis zu Gefahr und Ungestüm, doch als es sie sanft niedersetzt, war sie traurig.
    Von dem Schloss war kein Stein, keine Spur zurückgeblieben; wo es gestanden, war die Erde nicht einmal eine Schattierung heller. Vier junge Männer in rohen, rostigen Rüstungen wanderten mit offenen Mündern durch die entschwundenen Gänge, drehten sich ratlos im Kreise, wo einst die Schloßhalle gewesen war. Als sie Lir, Molly und Schmendrick erblickten, kamen sie lachend auf die drei zugelaufen. Vor Lir fielen sie auf die Knie und riefen vereint: »Lang lebe der König! Lang lebe König Lir!«
    Lir errötete und versuchte, sie emporzuziehen. »Das sollt ihr nicht, bitte nicht«, brummte er. »Wer seid ihr?« Er blickte verwundert von einem Gesicht zum nächsten. »Dich kenne ich doch, und dich auch! Aber wie ist das möglich?«
    »Es ist so, Eure Majestät«, sagte glücklich der erste der jungen Männer. »Wir sind wirklich König Haggards Krieger, dieselben, die ihm durch so viele kalte und elende Jahre hindurch gedient haben. Nachdem du in der Uhr verschwunden warst, sind wir aus dem Schloss geflohen, denn der Stier brüllte, dass alle Türme bebten. Wir fürchteten uns sehr, denn wir wussten, dass der Fluch sich endlich erfüllte.«
    »Eine riesige Welle verschlang das Schloss«, sagte der zweite Mann, »genau wie die Hexe es vorhergesagt. Ich sah sie so langsam wie Schnee über den Rand des Kliffs laufen, und weshalb sie uns nicht mitriss, das kann ich nicht sagen.«
    »Die Welle teilte sich und ging um uns herum«, sagte ein anderer. »Das habe ich noch nie eine Welle tun sehen. Es war ein seltsames Wasser, wie das Gespenst einer Welle, es brodelte in einem Regenbogenglanz, und einen Augenblick lang kam es mir so vor …« Er rieb sich die Augen und zuckte mit den Schultern, lächelte hilflos. »Ich kann es nicht erklären. Es war wie ein Traum.«
    »Aber was ist euch widerfahren?« wollte Lir wissen. »Ihr seid alte Männer gewesen, als ich zur Welt kam, und jetzt seid ihr jünger als ich’ Welch Wunder ist das?« Die drei, die schon gesprochen hatten, kicherten nur und sahen sehr verlegen aus, doch der vierte erwiderte: »Es ist das Wunder, dass wir wirklich meinten, was wir versprachen. Einmal haben wir der Lady Amalthea erzählt, wenn sie es wünschte, würden wir wieder jung, und wir müssen die Wahrheit gesagt haben. Wo ist sie? Wir werden ihr zu Hilfe kommen, und wenn wir uns mit dem Roten Stier persönlich anlegen

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