Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)

Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
Vom Netzwerk:
festhält, als sei sie eine kostbare Reliquie. Dann wälzt er sich herum und hält die Flamme an die Lunte. Zischend flammt sie auf.
    Er packt mich am Arm, reißt mich hoch und zerrt mich hinter sich her. »Lauft!«
    Ein ohrenbetäubender Donner lässt die Luft erzittern. Die Erde bebt. Grassoden, Sand, Schlamm und Blut regnen auf uns herab. Und noch etwas anderes. Etwas Klebriges.
    Verflucht!, denke ich schaudernd. Das ist Fleisch!
    Nimmt der Horror denn kein Ende?
    Da ist der Graben.
    Fra Galcerán lässt meine Hand nicht los, als wir über die Baumstämme springen, die eine Straße für den Belagerungsturm bilden sollen.
    Wie lange noch bis zur Explosion?
    Nur noch wenige Augenblicke.
    Weiter!
    Dann geschieht es.
    Mit einem Donnergetöse, als stürze der Himmel über uns ein, gehen nacheinander die drei Sprengladungen hoch. Zerborstene Holzbalken, Steine, Erde, Sand, Knochen, Fleisch, Blut, alles prasselt wie in einem Herbststurm, der das vertrocknete Laub aufwirbelt, auf uns nieder.
    Irgendetwas bohrt sich durch den Harnisch in meine Seite. Der Schmerz raubt mir den Atem. Ich spüre, wie das Blut aus der Wunde rinnt.
    Mit letzter Kraft stolpere ich die Geröllhalde der eingestürzten Außenmauer hinauf, rutsche auf der anderen Seite wieder hinunter, verliere auf dem rutschigen Untergrund das Gleichgewicht und stürze schwer atmend zu Boden.
    »Ihr seid verletzt.« Tannhäuser hockt sich neben mich und untersucht mich.
    »Es geht schon«, presse ich mühsam hervor. »Der Turm?«
    »Der Sultan dürfte vor Zorn toben. Die Überreste kann er als Beißholz benutzen«, scherzt er. »Könnt Ihr Euch aufrichten? Ich will Euch den Harnisch ausziehen.«
    Er hilft mir auf, zerrt an den Lederriemen und Schnallen herum und nimmt mir den schweren Brustpanzer ab, damit ich leichter atmen kann. »O Gott!« Er richtet sich auf und winkt hektisch hinauf zur Mauerbrüstung. »Eine Trage!«, brüllt er. »Und einen Arzt! Wir haben eine Verwundete!«
    Meine Bravi scharen sich um uns und bilden einen Kreis.
    »Wer war es?«, keuche ich und lasse mich zurücksinken.
    »Unsere beiden Brüder.«
    »Beide?«
    Tannhäuser nickt nur.
    »Unzertrennlich, im Leben wie im Tode.« Ich seufze. »Gott sei ihrer Seele gnädig.«
    Meine Bravi bekreuzigen sich still.
    Tannhäuser gibt mir zwei Briefe. Er hat sie aus den Taschen der beiden toten Brüder geholt, die eben eine Kanonenkugel erwischt hat. Ich falte sie auseinander und starre auf die ersten Worte, ohne sie wirklich zu lesen. Ich werde diese Abschiedsbriefe ihren Eltern geben. Wenn ich überlebe. Wenn ich nicht gefangen, gefoltert und hingerichtet werde. Wenn ich entkommen kann. Und wenn ich es bis nach Rom schaffe. Dann werde ich ihrem Vater und ihrer Mutter in die Augen sehen und sagen: Es tut mir leid, dass ich nicht besser auf Eure Söhne aufgepasst habe.
    Heiße Tränen steigen mir in die Augen, und ich presse die Lippen zusammen, damit ich nicht aufschluchze, während ich die blutverschmierten Briefe zusammenfalte und sie in die Tasche stecke.
    Ich ertaste etwas Warmes, Nasses … Was ist das? Das Herz … ich habe Gianantonios Herz vergessen …
    »Was ist?«, fragt Tannhäuser besorgt. Die Adern an seinen Schläfen treten hervor. »Weint Ihr?«
    »Ach, Quatsch.« Mit dem Handrücken wische ich mir die Tränen ab. »Ist nur die Anspannung.«
    »Wir bringen Euch von hier weg. Ihr blutet stark. Ein Medicus wird Eure Wunde versorgen.«
    Ich nicke. »Gut.«
    Tränen über mein erhitztes Gesicht. Sie fühlen sich ganz kalt an. Ich wische sie weg.
    Tatsächlich, ich weine!, denke ich erstaunt, während ich mit geschlossenen Augen auf dem Boden liege, um ein bisschen auszuruhen. Ich bin zu Tode erschöpft. Ich fühle, wie mit dem Blut das Leben aus mir herausrinnt.
    Und ich kann die eisige Kälte spüren, die sich durch meinen Körper frisst. Es fühlt sich an, als läge ich in einer tiefen Schneewehe. Als breite der rieselnde Schnee ein Leichentuch über mich. Ist das eine Nebenwirkung des Haschischs? Oder …
    Ich öffne die Augen.
    Es ist dunkel. Und kalt. Und stürmisch. Und es schneit in dicken Flocken.
    Ich zittere am ganzen Körper. Wie gelähmt vor Entsetzen bleibe ich liegen. Versuche zu verdrängen, zu vergessen. Doch immer wieder tauche ich in die Erinnerung ein, als wolle ich mich vergewissern, dass das alles wirklich geschehen ist. Es ist wie mit einer schmerzenden Wunde oder mit einem Splitter im Fleisch, man rührt immer wieder daran, um den Schmerz zu spüren.
    Wie lange

Weitere Kostenlose Bücher